GESCHICHTE UND GESCHICHTEN
AUS DEM 18. JAHRHUNDERT

Die Christnachttragödie in Jena

Georg Heuchler lebte in Jena und verdiente sein Auskommen als Schneider und Besitzer eines Weinbergs. Er glaubte, dass in seinem Weinberg ein Schatz verborgen war. Ein deutliches Zeichen dafür musste doch die "Weiße Frau" sein, die sich dort öfter zeigte.
Im Jahr 1715 warb er drei weitere Männer an, die ihm behilflich sein sollten, mittels einer Geisterbeschwörung an den Schatz zu gelangen. Es waren dies ein Bauer, ein Schäfer und ein Medizinstudent.
Um erfolgreich zu sein, bedurfte es nur einer Springwurzel und eines Zauberbuches, meinte der Schneider. Die Springwurzel heißt so, weil sie ihre Samen nach dem Trocknen bis zu drei Meter weit wegschießt. Sie wird auch Kreuzblättrige Wolfsmilch genannt und gehört zu den giftigen Wolfsmilchgewächsen. Sie ist nicht selten auch als Zierpflanze in Gärten anzutreffen, also sollte es keine Schwierigkeit gewesen sein, sich das Kraut zu beschaffen.
Als Zauberbuch entschloss man sich für den "Höllenzwang" des Doktor Faustus. Mit Hilfe dessen würde man die Dämonen der Hölle zwingen können, die Lage des Schatzes preiszugeben.
Am Heiligen Abend begaben sich drei der Schatzsucher zu einer Hütte beim Weinberg. Der Schneider allerdings blieb zu Hause. Hatte er Angst bekommen? Hatte er den Glauben an den Schatz verloren? Niemand weiß das zu sagen, als er selbst. Die anderen drei Männer versahen das Häuschen mit magischen Zeichen, beteten ein Vaterunser und zündeten ein wenig Kohle an, die Heuchler ihnen mitgegeben hatte. Glühende Kohlen, um den dunklen Mächten eine gewohnte Umgebung zu bieten? Schließllich begannen sie mit den Beschwörungen. Als der Student eine Beschwörungsformel aus dem "Höllenzwang" dreimal laut aussprechen sollte, schaffte er nur zwei Versuche. Dann schien es ihm, als würde er in Schlaf fallen.
Am nächsten Tag kam der Schneider zu seiner Hütte und fand den Studenten ohnmächtig vor. Die beiden anderen waren tot.

Nun, lieber Leser, wollen wir doch nicht gleich abergläubisch werden. Erstens wissen wir nicht, was die Männer mit der Springwurzel getan hatten. Sie wurde früher als Abführmittel verwendet, führte jedoch häufig zu Vergiftungen und manchmal zum Tod. Außerdem ist es natürlich auch möglich, dass die Männer durch das Kohlenfeuer eine Rauchgasvergiftung erlitten hatten. Andererseits handelt es sich hier um eine Hütte beim Weinberg - und das im 18. Jahrhundert. Kann die wohl so luftdicht gewesen sein?
Aber die Geschichte geht noch weiter ...

Man versorgte den Studenten und schickte drei Männer zur Weinbergshütte, um bei den beiden Toten Wache zu halten. Auch diese Männer machten mit Holzkohle ein Feuer an - vermutlich jedoch gegen die Kälte. Das wieder würde die Annahme stärken, dass die Hütte nicht so luftdicht gebaut war. Wie dem auch sei - am Morgen waren zwei der Wächter tot.
Der dritte Mann sagte aus, dass ihnen in der Nacht ein Geist erschienen war, der die Gestalt eines Knaben hatte, der in der Hütte rumorte und dann die Tür mit lautem Knall zuwarf.

Die Wächter hatten jedoch keinen Grund, das Springkraut einzunehmen, sodass diese Ursache ausgeschlossen werden kann. Die Erscheinung des Geistes kann natürlich auch derAngst und der Phantasie des Überlebenden entspringen, als er merkte, dass seine Kameraden nicht mehr lebten.
Merkwürdig bleibt, dass in zwei auf einander folgenden Nächten je zwei von drei Männern verstarben. Ich überlasse es Ihnen, lieber Leser, sich Ihr eigenes Urteil zu bilden.

Noch ein Wort jedoch: auch wenn diese Geschichte als Sage fortlebt, war sie dennoch Realität. Davon zeugen mehrere Schriftstücke, nicht zuletzt ein Bericht der Untersuchungskommission, der in der Landesbibliothek Sachsen-Anhalt aufliegt.
Der überlebende Student wurde übrigens auf Lebenszeit des Landes verwiesen; der Schneider Heuchler kam mit zehn Jahren derselben Strafe davon.

Copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2014



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