HEXAMETER

- keine Hexerei


Ich habe es Professor Claes-Christian Elert zu verdanken, dass meine Vorliebe für den Hexameter geweckt wurde. Er begann seine erste Vorlesung in Phonetik damit, dass er uns aufforderte, ein paar Zeilen Hexameter zu schreiben.
"Schreiben Sie über Ihre Tante, deren Katze, einen Regenschirm oder worüber Sie wollen", sagte er, "aber schreiben Sie jetzt einen Hexameter."
Ich weiß noch, dass ich sowohl die Tante, die Katze, als auch den Regenschirm in meine Zeilen hineinbrachte - aber vor allem war ich erstaunt darüber, dass ich in zehn Minuten tatsächlich vier Zeilen Hexameter schreiben konnte. Ich weiß dagegen bis heute noch nicht, was der Hexameter eigentlich mit Phonetik zu tun hatte, aber das ist ja eher nebensächlich.

Der Hexameter ist das älteste, bekannte Versmaß in der westlichen Kultur, nachdem die Ilias und die Odyssee im Hexameter geschrieben sind. Die Vorsilbe "hex" zeigt an, dass jede Zeile des Verses aus sechs Versfüßen besteht, hauptsächlich aus Daktylen. Ein Daktylus besteht aus einer betonten und zwei unbetonten Silben (z.B. Sonnenschein). Der letzte Versfuß ist häufig ein verkürzter Daktylus, also ein Trochäus (eine betonte und eine unbetonte Silbe, z.B. Vater).
Die Wissenschaft streitet darüber, welche Abweichungen bei einem Hexameter noch zulässig sein dürfen, aber das ist meiner Meinung nach irrelevant. Ein guter Hexameter hat keine Abweichung.

Gelingt es dann, einen vernünftigen Inhalt in diesen Rhythmus zu zwingen, dann verhält sich der Hexameter zu modernen "Dichtungen" etwa so wie die Kunstwerke alter Meister zu dem Geschmiere moderner Malerei. Im Vergleich mit der Musik ist der Hexameter mit seinem "Dreivierteltakt" ganz bestimmt der Walzer der Dichtkunst.

Durchaus nicht notwendig, aber eine besondere Herausforderung ist es darüber hinaus, den vernünftigen Inhalt in nur zwei Zeilen auszudrücken. Um weiter mit der Malerei zu vergleichen, entsprechen diese Zweizeiler also Miniaturen.
Hier folgen ein paar solcher Versuche:


GLOBALE ERDERWÄRMUNG:
Klein sind Erreger von Krankheit, doch viele erschüttern den Körper.
Menschheit, besinne dein maßloses Treiben! Die Erde hat Fieber!

NOVEMBER:
Grauer Novembertag, regnerisch. Lustlos erfüllend denselben
Kleinkram alltäglicher Mühsal. Und dennoch ein Lichtblick: dein Lächeln!

BEDAUERLICH:
Armes Amerika! Land der verwegenen Träume von Größe -
ohne Kultur und Geschichte verbleibt nur brutales Beherrschen.

NOCH BEDAUERLICHER:
Florida! Hochburg von Buschs demokratischer Wahrheit? Der Bruder
Jeb machte Georg zum Sieger der Wahl! Nepotismus statt Würde!

PHILOSOPHIE:
Leben: Im Strom der Gezeiten ein Stückchen des Weges zu färben,
sei es durch Größe, durch Schuld, oder doch nur um farblos zu scheiden?

ONE-NIGHT-STAND:
Rausch der Begierde, entfesseltes Feuer, verschlungene Körper -
dennoch Gewissheit: am kommenden Morgen dann wieder nur Leere.

DNS GOTTES: *)
Sonnen, Planeten, das Meer und die Tiere, die Bäume - sie alle
zeigen ein Teil uns des Ganzen, sodass wir in Ehrfurcht erstaunen.

SURREALISMUS: **)
Lebhafter Traum von unendlichen Weiten und schreiender Stille,
springende Raubkatzen lauern darauf, dass du aufwachst. Dalí pur.


*) DNS = Desoxyribonukleinsäure, enthält die genetische Information eines Organismus
**) Diese Zeilen beziehen sich auf das Gemälde von Salvador Dalí mit dem Titel: "Eine Sekunde vor dem Erwachen aus einem Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel"

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås, 2006


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