Die Bahnhofstraße in Zürich
und die Relativitätstheorie


Angeblich soll Einstein die Relativitätstheorie entdeckt haben, als er mit der Straßenbahn auf der Bahnhofstraße in Zürich fuhr. Das ist eine nette Geschichte, aber zu albern, um wahr zu sein, oder nicht?
Zunächst: was ist die Relativitätstheorie? Sie besagt, dass Energie gleich ist mit Masse mal der Geschwindigkeit der Lichts im Quadrat. Oder, in einer Formel ausgedrückt: E = m x c2. Die haben sie sicher schon irgendwo gesehen.
Das ist eigentlich ganz logisch.
Die Lichtgeschwindigkeit ist ja konstant, das heißt, immer gleich schnell. Auch im Quadrat, nur wird sie dann noch schneller. (Also theoretisch, denn sie ist wirklich immer gleich schnell.) Der Rest der Gleichung sagt ja nur, wenn man mehr Masse hat, dann braucht man mehr Energie, um eine Rakete zum Mond zu schießen. Deshalb sollen die Dinger ja so leicht wie möglich sein. Aber das hat mit der Bahnhofstraße überhaupt nichts zu tun.

Bevor ich zur Bahnhofstraße komme, möchte ich über Gewitter reden. Auch das ist etwas, was sie sicher kennen. Sie haben sicher schon die Zeit gezählt, die zwischen Blitz und Donner liegt, um zu sehen, wie nah das Gewitter ist. Der Blitz zuckt mit Lichtgeschwindigkeit und die ist so schnell, dass es eigentlich keine Rolle spielt, wo es blitzt, denn das Licht fährt in einer Sekunde gut sieben Mal um die Erde! (Das ist auch nur theoretisch, denn das Licht fährt nicht rund um etwas, sondern meistens ziemlich geradeaus.)
Der Donner dagegen ist der Schall des Einschlags. Und der bewegt sich, wieder logischerweise, mit Schallgeschwindigkeit. Die Schallgeschwindigkeit ist erheblich langsamer als das Licht, nämlich etwa 340 Meter pro Sekunde. Das bedeutet grob gerechnet, dass der Schall in 3 Sekunden einen Kilometer zurücklegt. Wenn Sie bis zum Donner gezählt haben, teilen Sie die Sekundenanzahl durch 3 und haben dann den Abstand zum Einschlag des Blitzes.
Jetzt zurück zur Relativität. Ein Nebeneffekt der Theorie ist nämlich, dass die Zeit langsamer vergeht, je schneller man sich bewegt. Das mag sich komisch anhören, nichtsdestoweniger ist es aber so. Ein Astronaut im Raum wird also weniger schnell altern, als seine Mitmenschen auf der Erde.
Und jetzt zur Bahnhofstraße in Zürich. Die führt vom Bahnhof (deshalb heißt sie so) in die City und ist recht lang. Am Turm des Bahnhofs befindet sich eine Uhr (ja, sie heißt Turmuhr …) mit relativ großen Zeigern. Nun, wenn diese Uhr zwölf schlägt, und man steht beim Bahnhof, dann hört man die Schläge gleichzeitig. Sollte man sich aber schon in der City befinden, die etwa 350 Meter entfernt ist … dann … würde man die Schläge der Turmuhr erst eine Sekunde später hören.
Befände man sich am Ende der Bahnhofstraße, die fast 1300 Meter lang ist, dann würde man erst knappe vier Sekunden später erfahren, dass es Mittag ist.
Sehen Sie, das sagte sich auch Einstein, als er ganz hinten im Straßenbahnwagen auf die Bahnhofsuhr zurückblickte. Und von dieser Einsicht ist die Schlussfolgerung zum Licht eigentlich sonnenklar. Je weiter ich vom Bahnhof weg bin, desto später werde ich sehen, wenn der Sekundenzeiger von der zwölf auf eine Sekunde nach zwölf springt. Der Jammer ist nur, dass wir bei so kleinen Entfernungen den Unterschied nicht messen können. Am Ende der Bahnhofstraße, wäre es gerade einmal ein zweihundertdreißigtausendstel einer Sekunde. Könnte ich die Turmuhr aber vom Mond aus sehen, wäre es immerhin schon eine gute Sekunde später. Klar?
Jetzt sitzen wir in einem Rennauto und fahren vom Bahnhof weg. Wir nehmen an, dass die Bahnhofstraße eine Gerade von 10 Kilometern Länge ist. Und wir nehmen an, dass die Turmuhr einen Schlag pro Sekunde macht. Wir fahren mit 170 km/h. Was passiert?
170 km/h ist die halbe Schallgeschwindigkeit. Das heißt, wir würden glauben, dass die Turmuhr nur jede zweite Sekunde schlägt, weil uns der Schall ja pro Sekunde eine halbe Sekunde einholen muss. Würden wir doppelt so schnell fahren, also mit 340 km/h, dann würden wir die Schläge der Bahnhofsuhr überhaupt nicht mehr hören,weil wir ja ebenso schnell wie der Schall sind und uns daher der Schall den Ton nicht mehr nachtragen kann.
Und bei der Lichtgeschwindigkeit ist es ebenso. Wenn wir mit halber Lichtgeschwindigkeit zum Mond fliegen könnten, wären wir um eine halbe Sekunde jünger als die Menschen auf der Erde. Weil dann für uns der Zeiger der Turmuhr um die Hälfte langsamer wäre, so wie der Schall im Rennauto bei halber Schallgeschwindigkeit.
Aber all das sind ja keine Abstände für das Licht. Zum nächsten Stern, der heißt Proxima Centauri, sind es 4 Lichtjahre. Könnten wir mit Lichtgeschwindigkeit dorthin fliegen, wären wir in unserer Rakete im Nu dort, weil die Zeiger auf der Turmuhr noch immer auf zwölf stünden, wenn wir sie sehen könnten. Für die Menschen auf der Erde aber wären 4 Jahre vergangen. (Ganz so ist es aber nicht, ein Physiker hätte sicher ein paar Einwände. Ich habe hier nur versucht, es verständlich zu erklären.)
Und sollten Sie aber einmal in Zürich mit der Straßenbahn vom Bahnhof weg fahren, dann rate ich Ihnen, dass Sie sich lieber die Umgebung ansehen, statt an die Relativitätstheorie zu denken.


Copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2017



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