DAS VERLORENE PARADIES

FRÜHLING


Es begann dunkel zu werden. Die Sonne war schon nicht mehr zu sehen, sie war, wie immer, zwischen dem Apfelbaum und dem Dach unseres Nachbarhauses untergegangen. Zuerst schienen die roten Strahlen noch von unten auf ein paar kleine Wölkchen, dann wurden sie immer matter und die Dämmerung schlich durch die Äste und Zweige der grossen Obstbäume.
Es war erst Mitte April, aber dennoch wohnten wir schon eine Woche lang im Gartenhaus. In der Nacht konnte es noch ziemlich kühl werden und einstweilen heizte Vater noch den kleinen Petroleumofen am Morgen, wenn er aufstand. Aber eine solche Kleinigkeit machte nichts aus, sie war es wert, um wieder im Garten sein zu können.
Ich war sogar bereit dazu, mich im kalten Brunnenwasser zu waschen, wenn es sein musste. So sehr schätzte ich die Freihaeit und die Abenteuer, die sich hier boten, dass ich fest versprochen hatte, trotz des langen Schulweges bis in die Stadt, mehr zu lernen, um meine mässige Geschichtsnote zu verbessern.
Im Augenblick jedoch war es die Erdkunde, die mich beschäftigte. Ich hatte meinen Schulatlas in meinen Lieblingsbaum mit hinaufgenommen und suchte, wegen der zunehmenden Dunkelheit das Kartenbuch nahe vor die Augen haltend, einen geeigneten Landeplatz. Ich sass nämlich jetzt im Cockpit meines Flugzeugs, war eben vom fernen Osten über den Pazifik hinweggebraust und wollte irgendwo in Lateinamerika übernachten. Es wurde schon langsam Zeit, denn meine Mutter hatte schon zweimal gerufen - aber ich konnte doch nicht gern mitten ins Wasser abspringen?
Hier. Buenaventura, an der Küste Kolumbiens, bis dorthin war es nicht mehr so weit. Trotz schlecht beleuchteten Landebahnen setzte ich mein Flugzeug sicher auf und betrat wieder festen Boden.
Als ich mich zwischen den beiden kleinen Pfirsichbäumen durchwand, hatte ich plötzlich eine leichte Ahnung der Lächerlichkeit meines Spiels. Vielleicht war ich dafür schon zu alt geworden - ich wurde doch im Sommer dreizehn.
Dennoch - nachdem ich einen ganzen Winter lang Fussballmeisterschaften ausgewürfelt hatte, war dies ein wenig Abwechslung. Wenigstens bis die anderen kamen. Übermorgen war Karsamstag, da würden sicher die Maiers und die Wüstenscheins auftauchen. Vielleicht sogar auch Weigls und Hrdlickas. Und Egon und Gerhard und Umberto.
Ich stolperte in der Dunkelheit und schlug der Länge nach in das Blumenbeet vor dem Haus. Während ich die feuchte Erde von mir schüttelte, hörte ich meine Mutter schimpfen.
"Und natürlich in meine neugesetzten Stiefmütterchen...."
Aber ich war zu glücklich, um sie ernst zu nehmen.

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås, Schweden 1996


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