DAS TAGEBUCH
DES HERAKLES

Abschied von den Göttern


Es ist ja doch schön, wieder zu Hause zu sein! Natürlich war es sehr spannend, in den Olymp hinaufzukommen und alle seine Bewohner zu treffen, aber es tut mindestens genau so gut, die Familie wiederzusehen. Therimachos kam mir schon laufend entgegen, in seinen Augen leuchtete die Freude und er rief: "Papa, Papa!" Kein Gott der Welt, beziehungsweise des Olymps kan einen solchen Augenblick ersetzen!

Außerdem ist es nett, wieder bei Megara zu sein, auch in ihren Augen glitzerte es, als sie mich umarmte. Und dann gibt es auch noch alle anderen Bekannten in Theben. Und alle wohlbekannten Gebäude, die Straße, in der wir wohnen, das Haus.... Es gibt so viel, was einem lieb ist, man kann es echt fühlen, wie sehr man das alles vermisst hat, während man weg war. Aber der Nektar und die Ambrosia werden mir statt dessen hier fehlen, glaube ich.

Als die Leute sahen, dass ich wieder heimkam, entstand ein großer Rummel. Ich nehme an, dass sich das Gerücht über meine Taten schnell verbreitet hat. Aber ich habe alle auf morgen vertröstet, der heutige Abend gehört der Familie. Die hat natürlich auch das erste Anrecht, meine Geschichten zu hören. Ich weiß zwar nicht, ob ich alles erzählen kann, zum Beispiel wie äußerst freundschaftlich Hebe mich betreute...

Ja, da fällt mir ein: der frechste Annäherungsversuch kam ja kurz bevor ich auf die Erde zurückkam. Nachdem wir die Giganten besiegt hatten, ging ich auf mein Zimmer und füllte eine Wanne mit heißem Wasser, um mir alle Blutspuren und den Schleim der Bestie Alcyoneus abzuwaschen. Ich war gerade in die Wanne gestiegen, da flog die Tür auf und eine zwitschernde Hebe kam ins Zimmer.

"Du warst großartig", grüßte sie in die Luft hinein. "Wo bist du denn? Ah, du sitzt ja im Bad!" Aber wer glaubt, dass sie sich damit verabschiedet und gesagt hätte, dass sie später wiederkäme, der liegt total daneben. Sie kam statt dessen zu mir und setzte sich auf den Rand der Badewanne. Ich wurde ziemlich rot um die Ohren, glaube ich, aber das störte sie gar nicht.

"Ich habe dir ein wenig Nektar mitgebracht", sagte sie ganz unbekümmert und betrachtete mich im Wasser von oben bis unten. "Du wirst ja deine Kräfte ein wenig auffrischen wollen, nachdem du so tüchtig gekämpft hast. Du bist ein großer Held!"

Naja klar, wer hört das nicht gern? Und statt sie zu bitten, hinauszugehen, nahm ich den Becher Nektar und versuchte, meine Rolle in der Schlacht ein wenig abzuwerten. Aber sie hörte nicht auf, mich zu loben. Sie holte eine Schriftrolle aus ihren Kleidern hervor und begann, einen Hexameter zu deklamieren:

"Hymnen, Gedichte bewahren die göttlichen Werte für immer.
Nehmt nur als Beispiel den Herakles, Held aus der frühen Geschichte.
Frech grinsend, kämpfend inmitten der göttlichen Schar am Olymp, wo
neben ihm kupferbepanzerter Ares stritt. Rechts war Athene,
strahlende Schönheit mit Wildheit im Blick. Auch Apollo befand sich
nahe dem Trio, wie auch Aphrodite und Hermes, Poseidon,
Hades und Zeus, der erhabendste Gott. Die Giganten verloren -
Sieg an die Götter, durch Hilfe des sterblichen Herakles. Freude!"

"Gut, wie?" Sie grinste breit, ihr ganz spezielles Lächeln. "Das habe ich selbst geschrieben. Für dich. Sodass du wenigstens eine Erinnerung an mich hast, wenn du wieder auf die Erde zurückgehst..."

Ich weiß nicht, ob das, was jetzt geschah, wirklich ein Missgeschick war, oder ob sie dazuhalf. Sie legte die Rolle weg und als sie sich am Wannenrand wieder aufrichtete, schrie sie "Hoppla!" und dann lag sie plötzlich bei mir im Wasser.

"Oh", sagte sie, während sie sich die Tunika auszog. "Die kann man ja jetzt auf jeden Fall nicht anhaben. Aber wenn es schon geschehen ist, kann ich dir ja gleich helfen, den Rücken zu waschen, oder?"

Sie war schön wie eine Göttin, und sie so neben mir zu spüren, nahm mir fast den Verstand. Aber ich versuchte, mich zu beherrschen, ich dachte an meine Frau und die Kinder und dass es ihnen gegenüber falsch wäre. Und es gelang mir, mich zu zügeln. Bis sie anfing, mich am Rücken zu streicheln - das fühlte sich auch göttlich an. Aber gerade als ich zu wackeln begann, als ich mich innerlich schon damit abgefunden hatte, klein beizugeben, als ich fast schon bereit war, sie in meine Arme zu schließen, zog sie sich zurück. Sie lächelte, aber nicht ihr herausforderndes, kitzelndes Lächeln, sondern tief und voll innerlicher Wärme.

"Nein, Herakles", sagte sie sanft. "Das wäre ganz falsch, nicht zuletzt dir selbst gegenüber, weil du würdest es als ewige Erinnerung mit dir durchs Leben tragen. Aber nicht als schönes Erlebnis, sondern als eine Falschheit, die du begangen hast. Und das wäre schade. Es wäre ganz anders, wenn du das nicht fühltest. Es ist wahr, dass ich dich liebe, ich bin dir vom ersten Anblick an verfallen und ich war ganz außer mir in den wenigen Stunden, die du hier bei uns warst. Und ich weiß, dass du mich auch magst, ich habe deine bewundernden Blicke gespürt und ich habe mich darüber gefreut. Aber ich weiß auch, dass du es eigentlich für falsch hältst.
In ein paar tausend Jahren wird eine österreichische Verfasserin über die Liebe schreiben: 'Was der eine nicht will, vergisst der andere, gewollt zu haben.' Und siehst Du, so sollte es wirklich sein, deshalb höre ich jetzt auf damit, dich zu verführen. Vergiss das Gedicht nicht, es liegt dort und gehört dir. Es soll dich daran erinnern, dass es hier heroben jemand gibt, der dich sehr gern hat."

Sie war aus der Badewanne aufgestanden, während sie sprach und hatte sich in ihre patschnasse Tunika eingewickelt. Jetzt kam sie nocheinmal zu mir und küsste mich leicht auf die Wange.

"Gib acht auf dich, Liebling. Danke für die paar Tage, die du hier bei mir gewesen bist. Ich werde bei dem offiziellen Abschied von dir nicht teilnehmen, wenn du von hier weggehst." Und jetzt war das Glitzern in ihren Augen wieder da, als sie mich nocheinmal von oben bis unten begutachtete und meinte: "Ich will dich lieber so in Erinnerung behalten."

Und dann verschwand sie, bevor ich noch ein Wort hervorgebracht hatte, was auch gar nicht so leicht gewesen wäre, weil ich war ziemlich gerührt von ihren Worten. Ich blieb noch lange im Bad liegen und dachte darüber nach, was sie gesagt hatte.

Dann, gegen Abend, kam Pallas Athene und holte mich, um mich auf die Erde hinunter zu begleiten. Als wir vorne beim Eingang die große Empfangshalle betraten, waren viele der Götter dort versammelt, um mir die Hand zu schütteln und um noch ein paar freundliche Worte zu sagen. Hera sah ich nicht, aber mein Vater war der letzte, der vorne bei der Tür stand. Er umarmte mich, dort, vor all den anderen Göttern.

"Danke für die Hilfe, Bub", sagte er. "Du hast es gut gemacht, aber ich wusste, dass wir uns auf dich verlassen konnten. Ich wünsche dir viel Glück in deinem Leben auf der Erde, auch wenn es manchmal hart werden kann."

Dann führte mich Athene zu der Lichtung im Wald, wo ich sie damals getroffen hatte.


© Bernhard Kauntz, Västerås 1999


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