DAS TAGEBUCH
DES HERAKLES

Endlich wieder daheim


Die letzten Tage meines Weges waren wie im Flug vergangen, ich hatte mir kaum Zeit genommen um zu essen, und ich hatte Lust gehabt, die ganze restliche Strecke zu laufen. Letzteres hatte ich aber doch nicht getan, weil ich trotz allem mit meinen Kräften haushalten wollte. Trotzdem hatte ich für das letzte Stück nur fünf statt der erwarteten sieben Tage gebraucht.

Was für herrliches Gefühl es gewesen war, das Stadttor von Theben zu durchschreiten! Und was für Schreck mich dann erwartete, als ich zu unserem Haus kam und es leer vorfand. Noch dachte ich mir nichts Schlimmes, es war früher Nachmittag und ich nahm an, dass Megara mit den Kindern einen Spaziergang machte oder irgendwo auf Besuch war. Nachdem ich mein Gepäck abgeladen hatte, machte ich mich gleich auf den Weg zum Haus meines Bruders, Iphikles.

Iolaus, mein Neffe, öffnete die Tür und flog mir gleich um den Hals, als er mich sah. Der Junge war wieder ein Stück in die Höhe geschossen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Aber er zählte nun auch schon bald dreizehn Jahre.

"Langsam, langsam", sagte ich, als er von mir abließ, mich aber bei der Hand nahm und mich gleich ins Haus ziehen wollte. "Ist dein Vater da?"

Der Junge nickte und zerrte mich unverdrossen weiter. Im Megaron, dem Wohnzimmer, waren zehn oder zwölf Leute versammelt. Ich kannte die meisten, wenngleich einige auch nur flüchtig. Wieder folgte eine lautstarke Begrüßung, die jedoch nicht den Ernst überschatten konnte, der über der Gesellschaft lag. Natürlich redeten auch alle gleichzeitig auf mich ein, händeschüttelnd und schulterklopfend, sodass ich nicht ein einziges Wort verstand.

Als es endlich ruhiger wurde, umarmte mich mein Bruder nochmals und sagte: "Sei willkommen! Du kommst wie gerufen!"

"Oh weh", dachte ich, denn mir war klar, dass man auf mich rechnete, worum es auch immer ging. Ich dagegen hatte vorgehabt, einige ruhige Tage im Kreis meiner Familie zu verbringen. Aber mein Anflug von Unwillen verschwand sofort, als ich hörte, was geschehen war.

"Vor einer knappen Woche ist König Kreon gestürzt worden", kam Iphikles gleich zur Sache. "Niemand weiß, was mit ihm geschehen ist. Wir wissen nur, dass Lykos mit einigen Schärgen die Macht ergriffen und sich zum König ausgerufen hat."

"Und Megara?" Ich fiel ihm voll böser Ahnungen ins Wort. "Und die Kinder?"

"Nur ruhig", beschwichtigte Iphikles. "Im Augenblick sind sie noch sicher. Sie haben sich im Zeustempel versteckt und unser Vater ist bei ihnen."

Wortlos wandte ich mich zur Tür, wurde aber von meinem Bruder zurückgehalten.

"Bleib da! Es ist besser, wenn Lykos nicht weiß, dass du zurückgekommen bist. Vor dem Tempel stehen sicher seine Wachen."

"Ich will aber bei meiner Frau und den Kindern sein", entgegnete ich empört. "Was kümmern mich die Wachen des Lykos?"

"Amphytrion ist bei den Deinen und sorgt für sie." Iphikles redete beruhigend auf mich ein. "Sie bekommen auch ausreichend Essen und Wasser im Tempel. Dafür sorgen viele Thebaner, die die Machtübernahme des Lykos nicht gut heißen. Und wir sitzen hier um uns zu überlegen, wie wir Lykos wieder absetzen können. Wir rechnen jetzt mit deiner Hilfe."

"Absetzen?" Ich spie das Wort aus. "Den Kopf werde ich ihm abschlagen." Aber ich sah ein, dass es ein Vorteil sein konnte, wenn wir die Überraschung meiner Rückkehr auf unserer Seite hatten. "Wieso hat denn noch keiner gegen Lykos revoltiert?"

"Weil zunächst einmal alles drunter und drüber gegangen ist. Weil man sehen musste, wer auf welcher Seite stand. Auch wenn Lykos nicht so viele Anhänger hat, muss der Widerstand organisiert werden", gab jemand aus der Runde zu bedenken. "Außerdem ist es jetzt verboten, in der Stadt Waffen zu tragen."

Ich sah das Problem nicht ein. Ich war mit meiner vollen Ausrüstung vom Stadttor bis zu meinem Haus gelangt, ohne aufgehalten zu werden. Wenn wir genügend Männer waren, würden wir auch mit eventuellen Wachen fertig werden. Wenn Lykos nicht so viele Anhänger hatte, hatte er wohl auch kaum genügend Leute, um die Stadt kontrollieren zu können. Kreon war ein guter und beliebter König gewesen, die Mehrzahl der Bevölkerung musste sich im Lager der Gegner von Lykos befinden. Abgesehen davon hatte ich eine Wut im Bauch, weil sich meine Familie verstecken musste. Ich traute mir zu, ganz allein die Stadt aufzuräumen.

Ungefähr so legte ich auch meine Ansichten dar. Und wie so oft, bedurfte es nur eines zündenden Gedankens, um die anderen zu motivieren.

Wir teilten uns in drei Gruppen auf, damit keiner allein gehen musste, wenn er von daheim seine Waffen holte. Eine Stunde später versammelten wir uns wieder bei Iphikles. Draußen begann es langsam dunkel zu werden, was uns nur recht sein konnte.

Wieder ergriff ich das Wort. Ich hatte den Vorteil, dass ich mich als Schwiegersohn Kreons im Palast gut auskannte. Ich hatte vor, zusammen mit Iphikles zu den privaten Gemächern des Lykos vorzudringen. Die anderen sollten uns nur den Rücken frei halten. Ich wollte den Palast vom linken Seitenflügel her betreten, weil es dann im Haus nicht mehr so weit war.

Wir schlichen in einem großen Bogen voran und näherten uns dem Palast von der Rückseite her. Ich hatte vermutet, dass wir so den wenigsten Wachen begegnen würden. Tatsächlich stießen wir nur zweimal auf Lykos Gefolgsmänner, die paarweise patrouillierten. Es machte keine Schwierigkeiten, sie zu überwältigen. Die Wache am Eingang erledigte ich lautlos mit einem Pfeil.

Auch im Palast selbst kamen Iphikles und ich bis zu den Privaträumen des illegalen Königs. Die Wache vor der Tür lenkte ich mit einem Steinchen ab, das ich von der Ecke aus ans andere Ende des Ganges warf. Als sich der Mann wegdrehte, war ich mit ein paar Schritten hinter ihm und ließ meine Keule auf ihn niedersausen.

Wir ertappten Lykos bei einem späten Abendmahl. Er ergab sich ohne Kampf und winselte um sein Leben. Ich hatte gute Lust, ihm den Kopf einzuschlagen, aber zunächst brauchten wir ihn noch. Ich wartete, bis unsere Nachhut eingetroffen war, dann schleppte ich Lykos, den ich unsanft am Schopf gepackt hatte, zum Thronsaal und befahl ihm, seine Wachen zusammenzurufen. Damit niemand auf falsche Ideen kommen sollte, hielt ich auch noch mein Messer gegen den Hals des Schurken.

Wir entwaffneten die Männer der Reihe nach, als sie nach drei Gongschlägen im Thronsaal eintrafen und sperrten sie in ein Nebenzimmer. Kreon mochte entscheiden, was mit ihnen geschehen sollte, vorausgesetzt, dass er noch am Leben war.

Das war mein nächster Schritt. Ich herrschte Lykos an, uns zu Kreon zu führen. Als er sich tatsächlich in Bewegung setzte, fiel mir ein Stein vom Herzen, weil das ja nur bedeuten konnte, dass er meinen Schwiegervater doch nicht umgebracht hatte.

Wir fanden ihn in einem unterirdischen Verlies im Hof, das oben nur mit einem Gitter abgedeckt war. Der alte Mann war ziemlich erschöpft und ausgehungert, konnte aber noch selbst gehen, wenn wir ihn stützten. Lykos stieß ich einfach ins Loch hinunter. Auch um ihn mochte sich Kreon kümmern, wenn er wieder bei Kräften war.

Dann aber überließ ich meinen Kameraden das weitere Geschehen im Palast, denn nun konnte mich nichts mehr davon abhalten, zum Zeustempel zu laufen, um meine Familie zu befreien und endlich in den Armen zu halten.


© Bernhard Kauntz, Västerås 2005


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