DAS TAGEBUCH
DES HERAKLES

Hephaistos fängt Ares und Aphrodite


Als ich am nächsten Abend die Gaststube einer Herberge betrat, war es zunächst so dunkel, dass ich gar nichts sah. Doch bevor ich noch die Tür hinter mir schließen konnte, hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Verwundert sah ich mich um. Erst schien das Lokal leer zu sein, nur der dicke Wirt spülte einige Urnen aus. Dann aber, als sich meine Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich in der hintersten Ecke einen Mann sitzen, der mir zuwinkte. Ich ging ein paar Schritte näher, dann erkannte ich ihn.

"Hephaistos!"

Ich umarmte meinen Halbbruder voll Freude. Als er mir jedoch wohlwollend auf den Rücken klopfte, ließ ich ihn schnell los, bevor seine Schmiedepranken mir die Rippen zertrümmerten.

"Was machst du denn hier", fragte ich. "Noch dazu in einer Kaschemme wie dieser?"

"Komm, setz dich zuerst einmal und trink einen Schluck, damit du den Straßenstaub aus der Kehle bekommst." Hephaistos winkte dem Wirt, noch einen Trinkbecher zu bringen, dann hieb er mir wieder freundschaftlich auf die Schulter, sodass ich eine Weile lang meinen linken Arm nicht spürte.

"Also, was machst du hier an diesem gottverlassenen Ort", witzelte ich, aber Hephaistos antwortete nur, dass er ein wenig allein sein wollte, aber dass er jetzt froh sei, dass ich gekommen war. Er ermunterte mich dazu, meinerseits zu erzählen, was ich alles erlebt hatte. Ich begann mit der Fahrt der Argonauten, erwähnte, dass sie mir davongefahren waren, erzählte aber den Rest der Reise, so wie ich ihn von Theseus gehört hatte. Dann erzählte ich von meinem Rückweg nach Theben. Und dann verstummte ich. Ich brachte es nicht über mich, zu erzählen, wie ich im Wahnsinn meine Familie erschlagen hatte.

Eine Weile saßen wir schweigend da, dann sagte Hephaistos:

"Ich weiß, was sich dann zugetragen hat. Jeder von uns oben im Olymp weiß von dieser schlimmen Sache. Es war ein ganz großer Aufruhr deinetwegen, weil alle wussten, dass es ungerecht war. Außerdem fanden alle, dass es dich besonders hart traf, weil du so sehr an deiner Familie gehangen hast.
Du kannst mir glauben, dass unser Vater meiner Mutter die schwersten Vorwürfe machte. Ich glaube sogar, dass sie schließlich einsah, dass es falsch gewesen war, dir den Wahnsinn zu schicken. Da stand sie ganz allein im Olymp, von allen geschnitten. Aber du weißt, wie jähzornig sie sein kann ..."

Ich sagte nichts, aber es tat mir gut, zu hören, dass Hera von den anderen gemieden worden war. Ja, ich wusste, wie jähzornig diese Frau sein konnte. Dafür war ja nicht zuletzt Hephaistos ein gutes Beispiel. Er muss den Jähzorn seiner Mutter sein ganzes Leben lang bezahlen.
Ich bezweifle ja, ob Hera wirklich alle Tassen im Schrank hat, jähzornig oder nicht. Wie kann eine Mutter ihr Neugeborenes wegwerfen, nur weil sie findet, dass es hässlich ist? Und sie hatte Hephaistos noch dazu vom Olymp aus auf die Erde geworfen. Ein Wunder, dass sein schlechtes Bein, das sein Hinken verursacht, die einzige Behinderung ist, die ihm geblieben ist.

Ich weiß nicht, ob der Schmiedegott dank meines Schicksals daran erinnert wurde, dass wir alle unser Kreuz tragen müssen, oder ob er mich auf andere Gedanken bringen wollte. Auf jeden Fall begann er, jetzt über sich selbst zu reden.

"Weißt du", sagte er, "es stimmt schon, dass ich hierher gekommen bin, um ein wenig allein sein zu können, aber das hat auch seinen Grund." Er schwieg wieder, vermutlich um nachzudenken, wie er das Thema anschneiden sollte.

"Aphrodite ist eine wunderbare Frau", brach es schließlich aus ihm heraus. "Ich meine nicht ihre Schönheit, sondern ihr Wesen. Sie ist zärtlich, hingebungsvoll, liebenswert ... ja, was du dir nur denken kannst. Ich habe mich schon oft gefragt, was sie an einem Typen wie mir gesehen haben mag, als wir heirateten. Vielleicht ist es ein Fall von 'die Schöne und das Biest' ..."

Jetzt grinste er breit und hob seinen Becher.

"Ich habe es jedenfalls noch nie bereut, dass ich sie geheiratet habe. Obwohl ..." Er stockte wieder. "Obwohl ich mehr als einmal vermutet habe, dass sie außer mir noch andere Liebhaber hatte."

Hephaistos trank einen kräftigen Schluck, dann breitete er hilflos die Arme aus.

"Sie kann ja schließlich nichts dafür, dass sie die schönste aller Frauen ist. Und dass ihr die Männer nachlaufen, das ist ja auch selbstverständlich. Als Göttin der Liebe ist es ja sogar zum Teil ihre Pflicht zu verlocken und zu flirten. Dass sie dabei manchmal einen Schritt zu weit ging, das war mir natürlich nicht recht, aber ich hatte Verständnis dafür. Und ich muss auch sagen, dass sie sehr diskret ist, denn nachweisen konnte ich ihr bislang gar nichts."

Wieder nahm mein muskelbepacktes Gegenüber einen großen Schluck und schüttelte den Kopf.

"Vielleicht wollte ich ihr ja auch gar nichts nachweisen", fuhr er fort, immer noch kopfschüttelnd. "Vielleicht wollte ich ihr sogar die Freiheit geben, die sie sich herausnahm. Aber alles hat seine Grenzen. Weißt du, wer ihr letzter Liebhaber war?"

Hephaistos sah mich mit gerunzelter Stirn an. Ich verneinte und erschrak im Augenblick darauf, als er seine mächtige Pranke auf den Tisch sausen ließ, sodass eines der Eichenbretter brach wie ein vertrockneter Zweig.

"Mit Ares! Mit diesem eingebildeten, selbstguten, gefühllosen Mistkerl!" Hephaistos versuchte, sich zu beherrschen, aber seine Stimme bebte vor Zorn. "Gerade mit diesem kriegerischen Ekel betrügt sie mich! Und das fällt mir so schwer zu verzeihen ..."

Ich nickte, denn ich konnte Hephaistos gut verstehen. Auch mir fällt es schwer, für Ares Sympathie aufzubringen. Ein geschniegelter Radaubruder war er, ohne jedes Mitgefühl für andere.

"Also ließ ich mir etwas einfallen", setzte Hephaistos fort, jetzt in einem etwas gemäßigterem Tonfall. "Ich schmiedete ein Netz, so dünn wie Spinnweben, aber kräftig. Das versteckte ich unter der Matratze in unserem Ehebett, mit einer Anordnung versehen, die es zusammenschlagen ließ, wenn zuviel Druck darauf entstand. Du verstehst schon, gell?"

Ja, ich verstand genau, was er meinte und ich musste mich anstrengen, um nicht zu grinsen. Aber ich wollte Hephaistos nicht beleidigen, deshalb nahm ich mich zusammen und nickte wieder, ganz ernst.

"Heute früh sagte ich, dass ich nach Lemnos reisen wolle", erzählte der Schmied, "aber ich versteckte mich im Garderobeschrank. Ich brauchte gar nicht lange zu warten, bevor ich hörte, dass jemand ins Schlafzimmer kam. An der Stimme erkannte ich gleich, dass es Ares war, der sich mit Aphrodite traf. Am liebsten wäre ich sofort aus der Garderobe gesprungen, nicht zuletzt als ich hörte, wie dieser Widerling meine Frau behandelte."

Hephaistos versank in Schweigen. Ich war zwar schon auf den Rest der Geschichte neugierig, aber ich gab ihm Zeit, bis er von sich aus wieder zu sprechen anfing.

"Ich bin wahrscheinlich selbst nicht der zärtlichste Liebhaber, den es gibt. Aber ich bin meiner Frau gegenüber wenigstens rücksichtsvoll. Die Grobheiten, die ich von Ares hörte, wären mir nie in den Sinn gekommen. Ich begreife nicht, dass sie ihn nicht zum Teufel jagte.
Nun, es dauerte gar nicht lange, bevor ich das Klicken hörte, mit dem das Netz zusammenschlug und gleich darauf die erstaunten und entrüsteten Ausrufe der beiden."

Ich sah das Bild vor mir und konnte mich nicht länger halten, sondern prustete los.

"Entschuldige", sagte ich dann zu Hephaistos. "Ich kann mir vorstellen, dass das für dich gar nicht so lustig ist, aber du musst zugeben, dass dir da eine recht originelle Art der Rache eingefallen ist. Was hast du dann gemacht?"

Hephaistos hatte mich zuerst zweifelnd angesehen, als ich losgelacht hatte, entschied sich dann aber dafür, dass ich nicht über ihn, sondern über die Situation lachte. Er zuckte die Schultern.

"Ich bin aus dem Schrank gekommen, habe gesehen, wie die beiden vergebens versuchten sich zu befreien, und bin gegangen, um Hermes zu suchen. Den schickte ich dann unter einem Vorwand zu Aphrodite. Ich hatte auch ganz richtig kalkuliert, denn als ich nach einer Weile wieder in unser Schlafzimmer kam, war es gedrängt voll von all den Schaulustigen, die Hermes zusammengerufen hatte. Mir war das nur recht, denn ich wollte, dass alle diese Schande sehen konnten."

Ich nickte Zustimmung. "Richtig. Das wird den beiden vielleicht zu denken geben."

Aber Hephaistos sah mich traurig an.

"Ja", sagte er. "Das dachte ich auch. Und vielleicht hat es auch tatsächlich ein bisschen Wirkung. Die meisten Gaffer lachten über die Situation, so wie du neulich. Das verstehe ich ja. Aber dann hättest du alle mitleidigen Blicke sehen sollen, die sie mir aus den Augenwinkeln zugeworfen haben. Das hat mir dann noch mehr weh getan.
Ich ließ die beiden hängen und kam auf die Erde herunter. Vielleicht hängen sie noch immer dort, wenn sie noch niemand befreit hat ...
Jetzt weißt du, warum ich hier bin."

Gedankenverloren trank Hephaistos den Rest des Weines in seinem Becher aus, dann gab er sich einen sichtbaren Ruck.

"He, Wirt", rief er. "Wir haben Durst. Bring gleich die ganze Amphora!"


© Bernhard Kauntz, Västerås 2006


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