Warum die Engländer nicht schreiben können

Während die meisten Menschen in Westeuropa einen Brief schreiben können, gehören die Engländer nicht dazu. Sie sind ein wenig rückständig und müssen den Brief mit Hammer und Meißel bewältigen.
Ich komme darauf zurück, warum das wahrscheinlich so ist, weil ich möchte zuerst meine Behauptung mit Fakten belegen. Wir deutschsprachigen Menschen, egal ob wir Deutsche, Österreicher oder Schweizer sind, schreiben. Das tun auch die Holländer und die Flamen Belgiens, denn sie "schrijven". Das sieht vielleicht ein wenig komisch aus, aber wenn man weiß, dass das "ij" als "ei" ausgesprochen wird, dann wird man zustimmend nicken. Im Norden "skriver" man auch, wenigstens die Schweden, die Dänen und Norweger lassen zwar das "r" am Ende weg, aber jeder wird sehen, dass "skrive" und "schreiben" denselben Ursprung haben.
Aber es wird noch ärger. Sogar in romanischen Ländern schreibt man. In Spanien "escribir"t man, in Italien benutzt man das Zeitwort "scrivere", die Franzosen "écrire"n und sogar bei den Rumänen findet man "scrisoare" für unser "schreiben". Überall findet man das (s)cri(v oder b) und kann das vom selben, ursprünglichen Wort ableiten.
Und was machen die Engländer? Write! Das hat doch überhaupt nichts zu tun mit dem Schreiben.

Nun, wenn wir ganz ehrlich sein sollen, dann ist unser "schreiben" auch relativ unbeholfen. Es kommt nämlich aus dem lateinischen "scribere", das die alten Germanen als "scriban" (Altgermanisch) oder "scrivan" (Altnordisch, bzw. Altniederländisch) übernommen haben. Das "scribere" der alten Römer war aber das, was man mit einem Griffel auf einer mit Wachs überzogenen Tafel schrieb. Immerhin, es kam unserer heutigen Tätigkeit wenigstens nahe.
Und jetzt wird es interessant. Auch die alten Engländer konnten damals schreiben, bei denen hieß es "scrifan". Es gibt heute noch Überreste davon, z.B. als "scribe", das soviel wie "Schreiber" oder "Schriftgelehrter" bedeutet. Auch in anderen Wörtern sehen wir noch einen Abklatsch des alten Schreibens, zum Beispiel in "describe" = "beschreiben". Wir sehen es auch in "prescription", was "Rezept" oder "Vorschrift" bedeutet.
Aber wieso haben die Engländer das Schreiben verlernt? Nun, wenn Sie glauben, dass sie vielleicht eine bessere Methode entwickelt haben, als unseren Griffel mit der Wachstafel, dann liegen Sie falsch. Wie ich eingangs erwähnte, müssen sie ihre Briefe mit Hammer und Meißel ritzen. Das Wort "write" hat nämlich auch einen altgermanischen Ursprung, nämlich "(w)rizzan" im Altdeutschen, "rita" im Altnordischen und "writan" im Altenglischen. Sämtliche Formen bedeuteten damals "ritzen oder reißen" und wurden verwendet, um Runen in Steine zu meißeln.
Das Nordische "rita" besteht heute noch in derselben Form, bedeutet aber "zeichnen". Auch im Deutschen haben wir noch Erinnerungen an diese alte Bedeutung. Wenn ein Architekt am Reißbrett sitzt, kann es wohl vorkommen, dass er seinen Entwurf zerreißt, wenn er nichts taugt. Aber hauptsächlich wird er an seinem Reißbrett wohl zeichnen.

Wenn wir nun das alles wissen, dann fragt man sich vermutlich, warum die Engländer, wenn sie schon einmal zivilisiert schreiben konnten, wieder zu den Steinwerkzeugen griffen. Nun, die Antwort ist eher in der politischen Geschichte, als in der Sprachgeschichte zu suchen. Als sich das Römerreich ausbreitete, brachte man auch die fortgeschrittene Kultur mit, wie zum Beispiel das Schreiben auf Wachstafeln. Im ersten Jahrhundert waren die Römer bis Norddeutschland und England vorgedrungen, daher ist es logisch, dass die Germanen in diesen Gebieten das Schreibzeug der Römer und damit auch das Wort "scribere" aufnahmen und ihrer Sprache anpassten. Die Römer erreichten aber nie den Norden Europas, wo sich das altgermanische Wort behaupten konnte. Als dann, etliche Jahrhunderte später, die Wikinger die britischen Inseln plünderten, blieben ein paar von ihnen dort und wurden zur Herrscherklasse, nicht zuletzt nach 1066, als die Normannen die Schlacht bei Hastings gewannen. Auch diese "Nordmänner" waren Wikinger, die vorher in Frankreich die Normandie (vergleiche die Namen) abgetrotzt hatten. Und als dominierende Gesellschaftsschicht brachten sie auch ihre Kultur und ihre Sprache mit. Daher bekam in England das altgermanische "writan" wieder die Oberhand und wurde zu "write".
Dass man in Nordeuropa heute das lateinische "scribere" verwendet, kommt daher, dass nach der ersten Jahrtausendwende christliche Missionare auch den Norden zivilisierten und das vor allem mit Hilfe von Latein. Die Christianisierung Englands wurde aber hauptsächlich von den Angelsachsen durchgeführt - daher kam nach der Römerzeit die breite britische Bevölkerung kaum mehr mit Latein in Kontakt. Und deswegen ritzen die Briten heute noch beim Briefschreiben.

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2018


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28.01.2018 by webmaster@werbeka.com