Gewidmet meiner guten Freundin
Maria Dolores Johansson,
die mich hierauf aufmerksam gemacht hat.


Sprachspezifisch müde?

Die meisten wissen wohl, dass unsere Sprachen untereinander verwandt sind. Einige mehr, einige weniger. Deutsch, Englisch, Niederländisch und die nordischen Sprachen gehören zu der Familie der germanischen Sprachen. Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Italienisch und auch Rumänisch bilden ebenfalls eine Familie, die der romanischen Sprachen. Romanische und germanische Sprachen sind auch noch verwandt, aber nur mehr verschwägert. Die finno-ugrischen Sprachen, also zum Beispiel Finnisch, Estnisch, Ungarisch und Mari, sind dagegen weit entfernte Verwandte, bei denen man die Verwandtschaft kaum mehr feststellen kann.
Nun haben nahe Verwandte oft gleichen kuturellen Hintergrund, bei den Sprachen sind das die Wörter. Das ist auch hinlänglich bekannt. Ein paar Beispiele:

Deutsch Englisch Niederländ. Schwedisch
Tür door deur dörr
Milch milk melk mjölk
Lampe lamp lamp lampa

Natürlich gibt es bei einzelnen Wörtern Abweichungen in der einen oder anderen Sprache. So heißt es im Englischen zum Beispiel "picture", während die anderen drei Sprachen "Bild" verwenden. Das kommt vom lateinischen Einfluss im Englischen, nämlich vom Wort "pictura". Aber Seitensprünge kommen ja in den besten Familien vor.
Dieselbe kulturelle Wortverwandtschaft gibt es auch in den romanischen Sprachen. Milch heißt zum Beispiel "latte" auf Italienisch (vom Kaffee her bekannt), "leite" (Portugiesisch), "leche" (Spanisch), "lait" (Französisch) und schließlich "lapte" auf Rumänisch.
Natürlich findet man die Milchverwandtschaft auch in den slawischen Sprachen: "moloko" (Russisch), "mléko" (Tschechisch), "mleko" (Polnisch), und "mlijeko" (Kroatisch).
Und so weiter, und so fort.

Und jetzt nehmen wir einmal an, dass wir durch dieses Sprachenstudium müde werden. Und das wollen wir unserem englisch Freund erzählen; "I am so m... m... m... tired". Aha, Ausnahme, denken wir. Mitnichten. Wir probieren es auf Schwedisch: "Jag är så ... trött". gerade einmal das niederländische "Ik ben zo moe" erinnert daran, dass wir es mit derselben Sprachenfamilie zu tun haben. Interessanterweise hat das Afrikaans, also die Sprache der niederländischen Kolonisatoren in Südafrika, seinen Ursprung bewahrt. Dort heißt es "Ek is moeg".
Vor demselben Problem stehen wir bei den romanischen Sprachen: Gerade mal bei Spanisch "Estoy tan cansado" und Portugiesisch "Estou tão cansado" finden wir uns zurecht. Aber schon der Franzose ist "fatigué" und der Italiener sogar "stanco".
Bei den slawischen Sprachen ist es nicht besser. Auf Russisch ist man "ustaju", auf Serbisch "umoran", und auf Tschechisch "unavený". Sogar im nachbarlichen Polen ist man wieder anders müde, nämlich "zmeczony".
Es erübrigt sich, bei noch weiter entfernten Sprachen zu forschen.
Trotzdem: Auch Finnisch "väsynyt" und Ungarisch "fáradt", erinnern kaum daran, dass beide Sprachen derselben Sprachengruppe angehören.
Noch ein paar kuriose Sprachen gefällig? Auf Malaysisch bin ich auf diese Art müde: "Saya letih", während ich es im verwandten Indonesischen "aku capek" bin. Als Türke sage ich: "Yorgunum", während ich mich als Westafrikaner in Hausa so ausdrücke: "Na gaji". Aber dann sind die beiden letzteren Sprachen ja auch nicht miteinander verwandt.
Warum ist der Unterschied so groß, gerade wenn man müde ist?
Nun, versuchen wir, das Rätsel wenigstens ein bisschen zu lösen. Das deutsche und niederländische Wort haben ja denselben Ursprung, nämlich im Altgermanischen "müede". Eine Form davon findet sich auch noch im Altnordischen und Altenglischen. Das Adjektiv "müde" leitet sich von "mühen" ab - was die Sache schon ein wenig näher erklärt. Müht man sich, wird man müde. "müe(je)n" im Altgermanischen kann man auf die noch ältere Wurzel "mo-" im Indoeuropäischen zurückführen. Diese hatte ebenfalls die Bedeutung "sich anstrengen, mühen" und ist das Verbindungsglied zu den slawischen und romanischen Sprachen.
Wir können also feststellen, dass die deutsche, beziehungsweise niederländische Form auf ihren Ursprung zurückgeht.
Das Schwedische "trött" hat im späten Mittelalter das urgermanische Wort "möþer" ersetzt. Allerdings blieb das Hauptwort "möda" - Mühe, bis heute im Sprachgut. "Trött" leitet sich von "tryta" ab, was etwa mit "zu Ende gehen" übersetzt werden kann. Und wenn die Kräfte zu Ende gehen, dann wird man müde - "trött".
Ebenso hat "tired" vom Verb "tire" abgeleitet, wie in den nordischen Sprachen die Bedeutung "enden" oder "aufhören". Das Wort findet sich aber schon im Altenglischen "teorian" wieder.

Gähn!

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2019



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