Das Rathaus am Großen Markt


Der erste Stein zum Brüsseler Rathaus wurde im Jahr 1402 gelegt. In dieser Phase entstand der linke Flügel des Gebäudes. Sein Baumeister war Jacob van Tienen. Ursprünglich war es gar nicht größer geplant gewesen. Nachdem aber die Gilden sich ein Mitspracherecht bei der Verwaltung der Stadt erkämpft hatten, musste das Rathaus erweitert werden. Der rechte Flügel wurde dann in der Mitte des Jahrhunderts in Angriff genommen und gleich darauf entstand der 96 Meter hohe Turm. Ganz oben thront dort der Hl. Michael in luftigen Höhen, der auch Schutzpatron von Brüssel ist.
Dieser Turm ist schief, auch wenn es nicht so auffallend ist, wie bei dem in Pisa. Dennoch steht er nicht ganz gerade über dem Eingang. Baumeister war Jan van Ruisbroek und über ihn erzählt man eine Geschichte: Er soll "schiefer Architekt" genannt worden sein und dann aus Verzweiflung und Scham Selbstmord begangen haben. Davon ist allerdings kein Buchstabe wahr. Der Ausdruck vom "schiefen Architekten" ist erst im 19. und nicht schon im 15. Jhd. geprägt worden.
Es ist übrigens eine falsche Übersetzung vom Englischen "chief architect". Außerdem hat Ruisbroek ganz sicher deshalb nicht Selbstmord begangen. Zeugen berichten, dass er dreißig Jahre nach der Vollendung des Rathauses noch am Leben war und im stolzen Alter von 90 Jahren einen natürlichen Tod gestorben ist.
Der Bau des Rathauses war gleichzeitig eine Strategie im jahrhundertelangen Konkurrenzkampf mit Löwen um die Vormachtstellung als Hauptstadt. Beide Städte waren durch die Tucherzeugung groß geworden und balzten um die Gunst der Landesfürsten. Hatte Karl von Niederlothringen seine Burg im Jahr 979 auf der kleinen Insel in der Senne erbaut, fiel sein Erbe, da er kinderlos war, in die Hände von Lambert I von Löwen. Die Residenz wurde von Brüssel nach Löwen verlegt. Aber schon Lambert II Balderic baute am Coudenberg eine neue Festung und eine Stadtmauer. Als die Tuchmacherei im 15. Jhd. in eine Krise schlitterte, begann Brüssel mit der Produktion von Wandteppichen.
Löwen seinerseits bekam im Jahr 1425 eine Universität. Anfang des 16. Jhd. nahm auch Mechelen an dem Wettrennen teil und war unter der Statthalterin Margarete von Österreich zeitweilig Hauptstadt. Aber Brüssel wurde im 16. Jhd. endgültig die Residenzstadt der Niederlande.
Bei der Zerstörung der Gebäude am Großen Markt durch die Franzosen im Jahr 1695 wurde auch das Rathaus in Brand gesetzt und musste teilweise wieder aufgebaut werden. Das geschah am Anfang des 18. Jhd. Auch der hintere Teil des Rathauses wurde im 18. Jhd. hinzugefügt. Im Jahr 1830, nach der Revolution, war das Rathaus der Sitz der vorläufigen Regierung Belgiens.

Auffallend sind vor allen Dingen die mehr als 170 Statuen, die die Fassaden des Rathauses verzieren. Hier gibt es die Regenten des Landes samt ihren Gemahlen und Gemahlinnen, frühere Bürgermeister und Wissenschafter, wie auch Künstler und allegorische Figuren.

Die wenigen Originale, die den Brand überlebten, sind heute im Stadtmuseum zu sehen, das im gegenüberliegenden "Brothaus" eingerichtet ist.
Im Hof gibt es zwei Springbrunnen, die die Maas und die Schelde vorstellen. Warum, wenn Brüssel doch an der Senne liegt? Das Innere des Rathauses ist hauptsächlich in neugotischem Stil gehalten. Die Einrichtung ist neueren Datums - nicht zuletzt, weil bei dem Brand alle Originalbestände verwüstet wurden. Leider ist es wieder einmal verboten zu fotografieren und emsige Wächter spähen wie einst Argus, um eventuelle Sünder zu entdecken.
In der Empfangshalle und den Schöffenzimmern sind wertvolle Gobelins aus dem 16. - 18. Jhd. ausgestellt. Im Maximilians-Saal gibt es einen Wandteppich, der das Leben Chlodwigs darstellt. Chlodwig war ein Merowingerkönig aus dem 5. Jhd., der sein Stammgebiet in den südlichen Niederlanden hatte. Es gelang ihm aber, hauptsächlich durch Unterwerfung, das Frankenreich zu vereinen.
Er besiegte auch den letzten römischen Heerführer in Gallien, sowie die Alemannen. Er konvertierte zum Katholizismus und machte Paris zu seiner Hauptstadt.

Auf dem Weg zum Büro des Bürgermeisters sind die Büsten aller Bürgermeister Brüssels zu bewundern. Im Wartezimmer gibt es auch allerhand Malereien von Brüssel und der Senne. Aber auch sonst gibt es Bilder, ausgestellte Vasen, Teppiche und vieles mehr.

Nachdem vom späten 15. Jhd. bis 1795 nicht nur die Bürgermeister, sondern auch die "Staten", die Ständeversammlung, von hier aus regierten, findet man Wappenschilder in Hülle und Fülle, als Glasmalereien auf Fenstern, auf Plafonds, usw.
Besonders im Trauungssaal, der früher Gerichtssaal war, sind die Wappen aller belangreicher Familien Brüssels an der Decke zu finden.


© Bernhard Kauntz, Wolvertem 2009


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