Der schiefe Turm


Am 9. August 1173 geschah die Grundsteinlegung. Damit ist der Kampanile das letzte der großen Gebäude auf der Piazza dei Miracoli. Pisa stand damals auf der Höhe seiner Macht und wollte der Welt zeigen, wozu man imstande war. Aus dieser grauen Vorzeit sind uns keine Unterlagen erhalten, wer der Architekt dieses Bauwerks ist und auch den Baumeister kennen wir nicht. Wir wissen dagegen, dass das Fundament des Turm in nur drei Meter Tiefe auf einem Schotterhaufen steht - ohne Zweifel ein mutiges Unterfangen. Etwa zehn Jahre nach Baubeginn, als man den dritten Ring fertiggestellt hatte, senkte sich der Boden um dreißig bis vierzig Zentimeter.
Fast hundert Jahre später (1275) wagte man sich daran, am Turm weiter zu bauen. Giovanni di Simone war nun Baumeister und er baute weitere drei Stockwerke. Dabei korrigierte er die Achse des Turms ein wenig und erhöhte die Galerien auf der Neigungsseite, was den Turm, optisch gesehen, weniger schief aussehen lässt. Nun hatte das Gebäude eine Neigung von 90 Zentimetern.
Aber der Turm war ja als Glockenturm vorgesehen. Am Anfang des 14. Jhd. hängte man die Glocken auf und in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts vollendete Tommaso di Andrea Pisano das Werk. Er versuchte, die Achse weiter zu korrigieren, denn der Turm neigte sich nun schon um 1,43 Meter. Dennoch wurde er noch viel schiefer. 1550 maß Vasari eine Abweichung von 3,79 Metern. In den folgenden zweieinhalb Jahrhunderten hatte sich die Lage allerdings stabilisiert, denn 1817 war die Neigung nur fünf Zentimeter mehr. 1838 wurde der Sockel freigelegt und ein neues Problem wurde aktuell.
Wie sollte man das Grundwasser entfernen, das man rund um den Sockel fand? Es gab keine geeigneten Methoden. Eine neue Messung 1859 zeigte, dass sich der Turm in den letzten einundzwanzig Jahren um weitere zwanzig Zentimeter geneigt hatte, das entsprach einem Zentimeter pro Jahr. Allerdings hatte das Gebäude am 14. August 1846 ein relativ kräftiges Erdbeben wohlbehalten überstanden.
Als 1902 der Kampanile von Venedig einstürzte, war das natürlich ein Mahnmal. Es wurden laufend Kommissionen eingesetzt, die allesamt nur hilflos die Köpfe schütteln konnten. 1935 machte man im Fundament Zementinfusionen, um das Wasser weg zu halten, allerdings half auch das nicht viel. Der Turm wurde ständig noch schiefer. Er zeigte aber seine Lebenskraft, als er im zweiten Weltkrieg die vielen schweren Bombeneinschläge der Alliierten unbeschadet überstand, obwohl viele Detonationen in der Nähe die Erde erschütterten.
1990 sperrte man den Turm für Besucher, während man weiterhin versuchte, ihn zu retten. So brachte man im ersten Stock Stahlringe an, die ein Absacken an den Stellen der größten Belastung verhindern sollen und 1993 legte man auf der höheren Seite 600 Tonnen Blei auf das Fundament um mehr Gleichgewicht zu schaffen. Weitere Belastung des Fundaments, sowie 1999 eine Entfernung von fünfzig Kubikmetern Erdmaterial auf der Nordseite, ließ den Turm sich tatsächlich um 44 Zentimeter aufrichten. 2001 wurde der Zugang wieder geöffnet, jedoch dürfen sich maximal vierzig Personen gleichzeitig im Inneren befinden.
Wenn man den Turm von ein wenig Abstand sieht, dann ist er eigentlich gar nicht so schief. Er ist natürlich nicht gerade, aber ich hatte mir die Neigung größer vorgestellt. Es kommt natürlich auch ganz darauf an, aus welchem Winkel und in welcher Umgebung man ihn betrachtet. Aus der Nähe sehen die Dinge dann allerdings anders aus. Hier sieht man, wie sehr sich der Boden gesenkt hat - und hier kann man sich nur wundern, dass sich das ganze Gebäude, das ja immerhin 14200 Tonnen schwer ist, wirklich noch aufrecht halten kann.
Das Innere des Turmes besteht aus einem Schacht um den sich eine Wendeltreppe windet. Bis 1935 konnte man im Schacht bis hinauf sehen, dann aber wollte man Messinstrumente im Turm installieren und deckte den Schacht ab. In jedem Stockwerk gibt es einen Ausgang zu den Loggien aber nur im vierten Stock ist die Loggia mit einem Geländer geschützt, sodass man beim Stiegensteigen eine Pause einlegen und die Aussicht genießen kann. Ganz oben gibt es zwei weitere Aussichtsterrassen. Die sieben Glocken haben natürlich alle einen eigenen Namen - die älteste davon, die Pasquareccia, ist aus dem 13. Jhd.

Schief oder nicht - dieses ehrwürdige, alte und nicht zuletzt schöne Bauwerk zu sehen, ist allein schon eine Reise wert.



Copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2009



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