Weltrekordtanz zum Gymnasiumabschluss


Manchmal hat man Glück. Als wir uns entschlossen, ein paar Tage in Ljubljana zu verbringen, hatten wir keine Ahnung, was für Schauspiel wir erleben würden. Wir waren an diesem Vormittag noch im Hotelzimmer, als es begann. Zuerst hörte man ein schrilles Pfeifen, das immer näher kam. Es übertönte sogar noch die laute Musik, die untermischt war. Schließlich ging ich zum Fenster, um zu sehen, ´was hier eigentlich los war. Ich kam gerade rechtzeitig, um den Lastwagen zu sehen, von dem die Musik erscholl. Aha, eine Straßenparty, dachte ich.
Dann aber sah ich das Meer von orange-schwarz gekleideten Menschen, die hinter dem Lastwagen einhergingen. Viele von ihnen hatten Trillerpfeifen, in die sie unaufhörlich bliesen.
Der Zug nahm kein Ende. Erst waren es ein paar hundert, dann aber schon ein paar tausend junge Menschen, die an unserem Hotelfenster vorübermarschierten. Einige trugen einfache Schilder mit den Namen von Gymnasien, also war es schon klar, dass es irgendetwas mit den Schulen zu tun hatte. Alles in orange-schwarz, sonst wäre es wohl beinahe mit dem Einzug der Nationen bei den Olympischen Spielen zu vergleichen gewesen.
Inzwischen hatten einige entdeckt, dass wir uns aus dem Fenster gebeugt hatten und dass ich fotografierte. Viele lachten und winkten zu uns hinauf.

Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber es dauerte sicher eine halbe Stunde, bevor der ganze Zug vorbei war.

Dann kam die nächste Überraschung. Gleich nachher kam ein Mistauto, das den groben Abfall aufsammelte, den die Jugendlichen unterwegs verloren oder wegwarfen.
Und gleich danach folgten drei Straßenfegerwagen, die gestaffelt fuhren und so die gesamte Straße rein fegten. Eine großartige Organisation war das. Aber dann ist Slowenien auch ein sehr sauberes Land.
Als wir die freundliche junge Dame in der Rezeption des Hotels wegen des Umzugs fragten, erklärte sie uns, dass es seit einigen Jahren der Gebrauch ist, dass die Maturanten aus dem ganzen Land hier zusammenkamen, um im Guinness Buch der Rekorde einen neuen Weltrekord zu erstellen. Und bisher kamen Jahr für Jahr mehr Teilnehmer. Was man tun wollte, war, dass alle Maturanten zusammen eine Quadrille tanzen sollten, was dann als Tanz mit den meisten Teilnehmern ins Rekordbuch eingetragen werden würde.
Eine Weile später gingen wir auf die Straße hinunter.
Schon von weitem sahen wir das quergestellte Lastauto, das die Hauptstraße von Ljubljana blockierte. Dahinter versammelten sich die Tänzer in spe, die jetzt in Reih und Glied antraten. Sie stellten sich brav zu Paaren hin, die auch die meiste Zeit über zusammenblieben. Es kam schon vor, dass jemand für eine Weile den "Tanzboden" verließ, aber im Allgemeinen war man sehr diszipliniert. Von den Lautsprechern des Lastwagens kamen die ersten Anweisungen. Man begann ganz vorsichtig. Paarweise zwei Schritte vor, dem gegenübergestellten Paar entgegen, dann wieder zwei Schritte zurück.
Das nächste Mal tat man es bereits mit einer Verbeugung. Dann wurden dem Gegenüber die Hände gereicht und schließlich die ersten Drehungen vollführt. So baute man die ganze Vorstellung (und die Tänzer) auf, bis man endlich alle Bewegungen eingeübt hatte. Es geschah nicht immer alles vollkommen synchron, aber der gute Wille war da. Natürlich gab es auch große individuelle Variationen. Einigen sah man sofort die Grace an, andere waren eher steif zu nennen. Dennoch hatten die meisten ihre Freude an den Übungen. Das Ganze sollte die Quadrille aus der Fledermaus von Johann Strauss werden.
Die Quadrille ist ein klassischer Tanz, der am Anfang des 19. Jahrhunderts entstand. Sie besteht aus verschiedenen Figuren oder Touren, die wiederum aus verschiedenen Schritten zusammengesetzt sind. Sie wird jeweils von vier Paaren gemeinsam getanzt, kommt jedoch bei besonderen Gelegenheiten als Massentanz vor. Allerdings sind es immer nur vier Paare (zwei und zwei gegenübergestellt), die gemeinsam agieren. Aus der Quadrille entstand später der Cancan und der amerikanische Square Dance.
Die Vorstellung wird von Tanzschulen, Gymnasielehrern, Gemeinden und Radio Slovenia unterstützt und von Letzteren auch live übertragen.
Im Finale hatten die Maturanten eine weitere Verschärfung durchzustehen. Es wurde mit aufgespannten Schirmen getanzt, was natürlich besonders bei Drehungen zu diversen Verwicklungen führte. Aber sie schafften es mehr oder weniger - und ich gratuliere zum neuen Weltrekord!
Insgesamt gesehen war es ein sehr nettes Erlebnis, diesen jungen Menschen zusehen zu können. Und noch etwas fiel auf: wenn man tausende junge Leute mit Trillerpfeifen versieht, müsste man wohl um die kommende Nachtruhe bangen, wenn nicht gar um sein Trommelfell?
Hier gab es wohl einige Gruppen, die es untertags noch lustig fanden, weiter zu pfeifen - aber am Abend war Ruhe. Hut ab!

© Bernhard Kauntz, Wolvertem 2012



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