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Västerås zur Steinzeit

Ausgrabungen in Eriksborg


Durch eine Einblendung im lokalen Fernsehen aufmerksam geworden, beschloß ich, mich auf eine Reise zu begeben, die mich zeitlich 4000 Jahre zurückversetzen würde. Die Stadt hat ein Projekt vor, im nördlichen Västerås eine Verbindung zwischen Norrleden und Fagerstavägen zu bauen. Nachdem dieser geplante Weg durch ein Gebiet mit vorgeschichtlichen Funden führt, muß zuerst die Möglichkeit gegeben werden, dort Ausgrabungen vorzunehmen, bevor der Weg gebaut wird. Mit diesen Kenntnissen und einer Menge Fragen ausgerüstet, setzte ich mich aufs Fahrrad und fuhr gen Norden.
Jetzt darf man nicht glauben, daß solche Ausgrabungen ein Volksfest sind, die Zuschauermassen anlocken, sodaß man nur den Leuten zu folgen braucht, wenn man den Weg nicht kennt - wie bei einem Länderspiel im Fußball, etwa. Durchaus nicht. Ich fuhr ein paar Runden auf Spazierwegen bei Västra Sjukhuset, ohne fündig zu werden. Dann begab ich mich auf die Straße nach Fagersta hinaus und dort hatte ich mehr Glück, als ich der ersten Traktorspur in den Wald hinein entlangfuhr. Ein paar hundert Meter weiter weg sah ich einen Erdhaufen und eine Handvoll Menschen. Der Weg dahin führte zwar über einen Acker, aber was tut man nicht alles für die Wissenschaft...?
Ich will ganz ehrlich gestehen, daß eine Ausgrabung aus der Steinzeit nun wirklich nicht so aufsehenerregend ist. Aus natürlichen Gründen gibt es noch keine Bronzestatuen, die die Kultstätte einsäumen und die Bauten gleichen auch nicht denen in Pompeji. Was es zu sehen gibt, ist ganz einfach ein Acker auf dem man den Humus abgetragen hat und auf dem es ein paar Gruben gibt. Bei jeder Grube ist ein Holzstäbchen mit einer Nummer darauf in die Erde gesteckt, einige davon liegen auch flach auf der Erde. Dennoch! Allein der Gedanke daran, daß die Funde hier (wenigstens fast) gleich alt sind wie die Pyramiden in Gizeh, daß sie älter sind als die Tempel auf der Akropolis, um von solchen "Modernitäten" wie dem Forum Romanun gar nicht zu reden - allein dieser Gedanke ist es wert, gedacht zu werden. Dann kann man sogar ein Spur Ehrfurcht fühlen, wenn man die Gruben und die Stäbchen betrachtet.

Ich werde zu Leif Karlenby geschickt, der die Ausgrabungen hier leitet und wir setzen uns in den Schatten der Arbeitsbaracken. Ich habe großes Glück, daß ich heute gekommen bin, denn morgen ist die Arbeit hier beendet.
Wir sprechen ein wenig über den Hintergrund der Ausgrabungen und ich erfahre mehr über das Gesetz für vorgeschichtliche Funde. Ganz prinzipiell besagt es, daß diese Funde geschützt sind und nicht weggenommen werden dürfen. Aber es obliegt der Landeskreisregierung, den Wert eines gemeinschaftsfördernden Projektes gegen den wissenschaftlichen Wert eines Fundes zu stellen, und sie kann dann die Baugenehmigung erteilen, z.B. für Häuser und Straßen. Aber wenn dies auf einem Gebiet geschieht, wo Funde vorausgesetzt werden können, muß der Bauherr zuerst die Untersuchung des Gebietes bezahlen. Das alles geschieht in mehreren Etappen, mit Oberflächenuntersuchung, Probegrabungen und einer richtigen Ausgrabung, sollte es sich als notwendig erweisen.
In diesem Fall hat man zwei Monate Zeit bekommen, um Ausgrabungen vorzunehmen. Ich wende ein, daß es hier einen Konflikt geben muß, zwischen dem der gräbt und dem der bezahlt, nicht zuletzt darüber, wie lange man graben darf - und Leif nickt. Aber es gibt auch andere Aspekte, sagt er. Es ist wichtig, daß die Ausgrabungen früh genug begonnen werden, sodaß sie den Bau später nicht behindern. Es ist auch wichtig, ein Resultat vorzeigen zu können und daß die Ausgrabungen in den Massenmedien erwähnt werden, weil man so auf die Erfolge hinweisen kann.
Ich frage, was nach der Grabungsperiode geschieht. Leif erzählt, daß man über die Funde und Entdeckungen einen Rapport schreibt. Die Gegenstände werden an das Historische Museum geschickt, wo man über ihr weiteres Schicksal entscheidet. Sind sie für das ganze Land interessant, so behält man sie selbst, wenn nicht, werden sie an die Regionsmuseen geschickt.
Ich frage, ob man denn keine mobilen Ausstellungen damit macht, damit man es den Leuten näher bringt. Ja und nein, es gibt Ambitionen, aber kein Geld....

Jetzt, da wir besprochen haben, was vor einer Ausgrabung passiert, komme ich zu Fragen, die besonders diese hier betreffen. Und ja, es stimmt, die Funde sind fast 4000 Jahre alt, die C14-Datierungen zeigen auf ein Alter zwischen 1700 und 2000 vor Christus, was mit der typologischen Datierung der Funde übereinstimmt. Meine erhobenen Augenbrauen zwingen Leif zu näheren Erklärungen. Typologisch heißt, daß man die Herstellungsart, die Verzierung, etc. mit anderen Funden vergleicht, von denen man eine genauere Zeitangabe hat. Was das C14 betrifft, so mißt man die Halbwertzeit dieses Kohlenstoffisotops, um zu genaueren Angaben zu kommen. Natürlich gibt es aber auch Fallen bei den Datierungen. Hat man z.B. einen dicken Baumstamm, den man altersbestimmen will, darf man nicht vergessen, daß der auch ein eigenes Alter hat, bevor er als Gebrauchsgegenstand verwendet wurde. Leif erzählt, daß man hier unverbrannte Haselnußschalen in einem Brunnen gefunden hat - und die haben ja kein eigenes Alter, denn die wurden im selben Jahr gegessen, wie sie gewachsen waren. Aber man muß immer alles in seinem Kontext sehen, je mehr man erfahren kann, desto sicherer wird die Zeitbestimmung. Hier kann man auf jeden Fall sicher sein, daß es sich um Funde aus der späten Steinzeit handelt, an der Grenze zur Bronzezeit.

Ich frage, wie lange Menschen schon hier gelebt haben, woher sie kamen und warum sie sich gerade hier niederließen.
Die ersten Siedlungen in diesem Trakt stammen wahrscheinlich aus der Zeit zwischen 3000 - 3500 v. Chr. Die Menschen folgten dem ewigen Eis, als es sich nach der Eiszeit zurückzog. Aber man diskutiert, inwiefern Veränderungen durch Neubesiedlung zustande kamen, beziehungsweise ob die Menschen ihr kulturelles Benehmen selbst änderten, von der Umgebung beeinflußt. Nachdem es hier um eine skandinavische Kultur geht, hat man sich sicher nach Südwesten gewendet, wenn es um den Tausch von Erfahrungen und Handelswaren ging, aber es bestand ohne Zweifel auch ein ziemlich kräftiger Einfluß von Osten. Es ist sogar möglich, daß das Bronze letzteren Weg nahm. Daß die Siedlung gerade hier lag, verwundert nicht, das heutige Västerås lag ja damals noch unter Wasser. Den Mälarsee gab es ja auch noch nicht, sondern er war eine Meeresbucht der Ostsee, deren Wasserspiegel 25 m höher lag als heute. Hier, in Eriksborg, befinden wir uns auf 31 m Seehöhe, also nur etwa 5 m über dem damaligen Meeresspiegel. Das heißt, daß es hier vermutlich schöne Strandwiesen gegeben hat, auf denen die Haustiere weiden konnten, und daß man trotzdem die Nähe zum Wasser hatte. Vermutlich war dieses Gebiet damals ziemlich dicht besiedelt.
Meine Konsequenzfrage, ob man dann auch Begrabungsstätten gefunden hat, wird jedoch verneint - nur bei Bjurhovda hat man einen Steinsarg gefunden, das ist alles.

Wie kann man wissen, ob es sich lohnt, an einer gewissen Stelle zu graben? Es gibt ja so viele mögliche Plätze zur Auswahl....
Es ist ja so, daß die Ausgrabungen in erster Linie dort geschehen, wo etwas gebaut wird, und da ist das Gebiet durch die Lage der Bauarbeiten bestimmt. Wenn man eine solche Stelle untersucht, beginnt man die Erdoberfläche abzusuchen. Wenn es dort Abschläge von Quarz und Feuersteinen gibt, die bei der Bearbeitung von Werkzeugen entstanden sind, kann es sich lohnen, das Gebiet näher zu untersuchen. Dann nimmt man die gepflügte Humusschicht weg, etwa 20-30 cm. Es ist dann sehr verschieden, wie tief die Schicht ist, in der die Funde liegen. Manchmal ist das meiste weggepflügt und es bleiben vielleicht 5 cm über, die interessant sind, manchmal können es auch 50 cm oder mehr sein, und an gewissen Stellen, wie z.B. Brunnen, ist es noch mehr. Bei einem der Brunnen hier hat man 2,5 m tief gegraben. Es ist immer eine offene Frage, womit man graben soll. Bei Brunnen kann man Maschinen verwenden, bis man zu dem Fundlager kommt, später verwendet man Maurerkellen. Damit kann man das meiste ausgraben, ohne die Gegenstände zu zerstören. Die meisten sind ohnehin kaputt, und man kann nur mehr die Fragmente ausgraben. Aber wieder ist es eine Frage um das liebe Geld - man kann ganz einfach nicht alles manuell ausgraben, das käme viel zu teuer.

Meine letzte Frage dreht sich logischerweise darum, was man hier gefunden hat.
Leif führt mich in eine der Baracken und zeigt auf einen Tisch. Dort liegen haufenweise kleine Plastiksäckchen, auf denen Zahlen stehen und in denen etwas liegt. Die Zahlen stimmen natürlich mit denen auf den Holzstäbchen im Freien überein, und geben an, wo etwas gefunden wurde. Die allermeisten Funde sind Quarz- oder Feuersteinabschläge, aber man hat auch Knochen von Schafen und Kühen gefunden, die vorher erwähnten Haselnußschalen, schön bearbeitete und glatt geschliffene Steinäxte, wie die hier im Bild, eine außerordentlich wohlgeformte Pfeilspitze und eine kurze "Leiter", d.h. einen Baumstumpf, in den man Kerben geschlagen hat, damit die Füße Halteplatz finden konnten. Außerdem hat man ziemlich große Keramikteile gefunden.

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Leif zeigt mir Teile einer Urne, die ziemlich groß war, vielleicht 40 - 50 cm hoch und 30 cm im Durchmesser. Auf einem Stück sieht man die obere Kante mit einem (Tropf?)rand herum, sowie einem eingeritzten Tannenzweigenmuster. Letzteres war eine typische Ausschmückung dieser Zeit. Zu derselben Urne hat man auch ein Stück vom unteren Teil gefunden.

Zusammenfassend kann man sagen, daß man natürlich verschiedene Einstellungen zu der Arbeit von zwei Monaten haben kann. Man kann, wie einst Travnicek in Wien, als das Reisebüro ihm vorschlug, nach Athen zu fahren, um sich die Tempel auf der Akropolis anzusehen, ganz einfach sagen? "Wozu denn? Das sind ja lauter Ruinen!"
Oder man kann auch dankbar sein, daß noch ein Teil unseres Kulturerbes gefunden wurde, das zusammen mit vielen, vielen anderen Puzzleteilchen den Hintergrund und die Ursache unserer heutigen Existenz bilden.

Bernhard Kauntz, Västerås im September 1997


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