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Eine Zeitreise im
MUSEUM der PROVINZ VÄSTMANLAND


Das Provinzialmuseum liegt im Schloß von Västerås. Die Geschichte des Schlosses ist umfangreich und geht bis ins 13. Jh. zurück, aber das gehört ja nicht hierher. Und wir beginnen vor noch längerer Zeit.
Zuerst stelle ich doch zufrieden fest, daß der Eintritt frei ist - ich erinnere mich noch mit Schrecken an den Eintrittspreis des Naturhistorischen Museums in Stockholm, wo wir im Frühjahr waren.
Der erste Ausstellungsraum ist dem Eisenzeitalter gewidmet und zeigt Funde aus unserer Region. Die Kämme auf dem Bild entsprechen ja nicht gerade der Mode unserer Zeit, aber andererseits sind sie ja schon 2500 Jahre alt...
Schon im zweiten Zimmer habe ich mehrere mentale "Aha-Erlebnisse", was vielleicht der Sinn eines Museumbesuchs ist. Der Raum zeigt die Funde bei Tuna, wo man ein Frauengrab aus dem 9. Jh. entdeckt hat.
Das Boot, in dem sie begraben wurde, ist in dem lehmigen Boden gut vor Zersetzung geschützt worden und das über 1000 Jahre alte Schiffchen zu sehen ist allein schon ein Erlebnis. Mindestens genauso verwundert bin ich über das Trinkglas, das zwar aus Italien oder Süddeutschland "importiert" wurde, aber das mit seinen aufgesetzten bunten Drähten eher an modernes Design denken läßt, als an frühe Wikingerzeit. Eine nette Präsentation ist das Hologramm einer Knopfschnalle, die man im Grab gefunden hat. (Und zu Hause bin ich nocheinmal paff, als ich entdecke, daß man von einem Holgramm tatsächlich ein Foto machen kann.)
Ein Zimmer über die Blütezeit der Wikinger bildet den Abschluß im Erdgeschoß, die Ausstellungen gehen im ersten Stock weiter.
Hier gibt es einen Raum über die Geschichte der Münzen und Medaillen Schwedens. Ich bin kein Numismatiker, aber man behauptet, daß die Münzensammlung hohe Klasse hält und daß Menschen von weit herkommen, nur um sie zu sehen. Auch als Laie macht es Spaß, sich die alten Münzen anzusehen, die durch ihre geprägten Bilder und Jahreszahlen ein wenig Geschichte erzählen. Ich erfahre zum Beispiel, daß die älteste schwedische Münzenprägung in Sigtuna stattgefunden hat, und zwar schon zur vorigen Jahrtausendwende. Ich sehe, daß das Öre seine Ahnen bis 1522 zurückverfolgen kann und daß auch schon vor so langer Zeit die Inflation am Geld geknabbert hat.
Außerdem sind hier im ersten Stock viele Gegenstände ausgestellt, die mit dem 18. Jh. zu tun haben. Das kommt daher, daß man im Jahr 1997 das 18. Jh. als spezielles Thema gehabt hat. Ich komme jedoch darauf später zu sprechen und steige noch ein Stockwerk hoch.
Hier treffe ich auf eine neue Spezialausstellung, nämlich von Porzellan, mit einer imponierenden Anzahl Speiseteller an der einen Längswand. Ansonsten gibt es allerlei anderes Porzellan zu sehen, von Butterbehältern bis zu Lampen. Meine Kenntnisse auf diesem Gebiet sind aber leider noch dürftiger als bei den Münzen - das einzige, was ich darüber weiß, ist daß diese Gegenstände leicht zerbrechen - und deshalb begebe ich mich in den nächsten Raum, wo der Zeitfaden wieder aufgenommen wird.
Jetzt geht es um die Vasazeit. Es war ja in der Nähe von Västerås, wo Gustav Vasa seinen ersten größeren Sieg gegen die Dänen gefeiert hat, und es war auch hier, wo 1527 der Reformationsreichstag abgehalten wurde. Sowohl Gustav Vasa wie auch sein Sohn, Johan III, restaurierten das Schloß. Letzterer ist der Erbauer des Reichssaales, der heute ein natürlicher Teil des Museums ist. Was mir gefällt ist der Wille, die Räume und ihre Einrichtung in einem zeitgerechten Stil zu zeigen, wie hier auf dem Bild.
Hier liegt auch der unglaubliche Silberschatz, ganze 16232 Münzen aus den Jahren 1440 - 1520, der 1972 bei Grabungen am Bondtorget gefunden wurde. Das Geld entspricht einem Lohn von 2725 Tageswerken. Bei einer Sechstageswoche ist es also der Verdienst von 9 Jahren Arbeit, was heute in Schwedenkronen einem Millionenbetrag entsprechen würde.
Zum Bondtorget gibt es auch eine Darstellung, die mir außerordentlich gut gefällt. Ganz oben ist ein schwarz-weißes Bild vom Bondtorget zu sehen (das, von den Automodellen her zu schließen, selbst schon museumsreif ist - aber das macht ja nichts) und darunter gibt es einen schematischen aber authentischen Aufbau der Erdlager in natürlicher Größe, mit den gemachten Funden darin enthalten. Die schwarzen Striche sind die Rußschichten nach den großen Bränden in der Stadt. Auf diese Art kann man sehen, wie tief man graben mußte, um auf die Ziegelmauer zu stoßen; noch weiter unten fand man Knochenreste und noch ein Stückchen tiefer lag ein Holzboden, usw. Natürlich gibt es seitlich auch eine Jahresangabe, sodaß man sehen kann, aus welcher Zeit die einzelnen Funde stammen.
Chronologisch sind wir jetzt zum 18. Jh. gekommen, das also während des Jahres 1997 ein übergreifendes Thema war. Es gab Spezialausstellungen dazu, Vorträge auf so verschiedenen Gebieten wie König Gustav III, Möbel oder über Gewürzpflanzen im 18. Jh.
Die Eisenhütten der Region Bergslagen waren zu dieser Zeit ein wichtiger "Industriezweig", nicht zulezt für Västerås, von wo aus man das Eisen und das Kupfer von Kopparberg weiter nach Stockholm frachtete - im Sommer per Schiff, während man im Winterhalbjahr auf Pferdeschlitten angewiesen war. Sonst war der Ackerbau, und hier vor allem das Getreide, der wichtigste Erwerbszweig. Västerås war jedoch mit seinen knappen 3000 Einwohnern auch Residenz- und Stiftsstadt und durch das Rudbeckianische Gymnasium auch Ausbildungszentrum. Im Jahr 1776 bekam man auch ein Spital mit 11 Plätzen.
In der permanenten Ausstellung im Museum wird aus dieser Zeit das Lokal einer Kneipe gezeigt, mit Geräuschkulisse. Wenn man den Raum betritt, hört man das Stimmengewirr "der anderen Gäste". Das ist eine technisch sehr einfache Lösung, die aber viel dazu beiträgt das Museumserlebnis reicher zu machen.
Mir fällt sofort der Unterschied an den Möbeln und Wänden auf, im Vergleich mit dem Raum aus der Vasazeit, zwei Jahrhunderte früher.
Es soll zu dieser Zeit in Västerås etwa 40 Kneipen gegeben haben (wer hat gesagt, daß es früher nicht besser war?), aber schon damals gab es Leute, die in Verboten die beste Lösung fanden. Im 18. Jh. wurde es z.B. verboten in den Kneipen Karten und Würfel zu spielen, weil das "Hasardspiel" neue Höhen erreichte. Es wird behauptet, daß man am Anfang des Jahrhunderts 17000 Spielkartensätze importierte - bevor man eigene Spielkartenfabriken bekam, darunter auch eine in Västerås.
Aber die Verbote erstreckten sich auch auf andere Dinge. Im Jahr 1731 wurde eine Verordnung gegen "den sündhaften Überfluß an Speise und Trank" erstellt, um der Frosserei Einhalt zu gebieten, das heißt bei denen, die sich solche Exzesse leisten konnten. Aber nachdem die Summe aller Laster gleich bleibt, trat in diesem Jahrhundert der Kaffee seinen Siegeszug durch Europa an, auch wenn er schon ein wenig früher bekannt war. (Über die Geschichte des Kaffees können Sie hier weiterlesen.)
Auch die Kartoffel waren schon seit dem vorigen Jahrhundert bekannt, aber sie gewannen erst gegen Ende des 18. Jh. an Popularität. Die Västeråsgurken dagegen wurden schon seit den 1730er Jahren in großen Quantitäten verkauft, nachdem sie von einem deutschen Gärtner, Bernt Joakim Bohnsack, eingeführt worden waren.
Aus der temporären Ausstellung über das 18. Jh. greife ich nur zwei Beispiele aus der Vielzahl, die es zu sehen gibt. Das erste ist ein amüsantes Kuriosum in der Form eines Stuhles. Auf der Lehne dieses Stuhles steht nämlich geschrieben: "Auf diesem Stuhl ist König Gustaf der III gesessen und hat Mittag gespeist, am 12. Juli in Salbo hed, 1783. A.A.S."
Aber damit nicht genug. Auf der Rahmenleiste der Lehne, die vorige Inschrift umsäumend, steht folgendes: "Auf diesem Stuhl saß auch König Oscar II nachdem ein Jahrhundert vergangen war, bei einem Besuch in Salbo-hed am 27.Juni 1883."
(Dagegen vergaß man anscheinend, im Sommer 1983 König Carl XVI Gustav nach Salbohed einzuladen.... Aber das kommt vielleicht daher, daß man über solche Berühmtheiten ja nicht gern auf dem Sitz - oder noch tiefer - Notizen machen kann.)
Übrigens ist es recht interessant zu sehen, wie die Schreibweise des Ortnamens über die Jahrhunderte hinweg "zusammengewachsen" ist.
Das zweite Beispiel ist aus weniger königlicher Umgebung hergeholt, es hat eher volkstümlichen Charakter - nämlich eine Truhe von 1783, mit der typischen Bemalung auf der Innenseite des Deckels.
Solche Truhen waren ja bis in unser Jahrhundert hinein sehr verbreitet und stehen wohl heute noch in manchem Heim als Familienkleinod.
Es gibt, wie gesagt, noch viele andere sehenswerte Dinge, u.a. eine "Beschreibung über Wästmanland von Olof Grau 1754. Mit seinen Städten, Dörfern und Flecken.", oder eine in Västerås erzeugte Standuhr.
Aber es gibt noch etwas, außer den Ausstellungsgegenständen, außer der trockenen Beschreibung der damaligen Zeit, auch wenn diese mit durchdachten Effekten gespickt ist - es ist jedoch etwas schwer Greifbares, vielleicht ist es Engagemang.
Ich kann nämlich z.B. sehr einfach darüber lesen, wie das Schönheitsideal im 18. Jh. ausgesehen hat, und da erfahre ich, daß der Teint ganz blaß sein sollte, ja daß man sogar Schminke verwendte, um richtig "bleich" zu werden. Die Augenbrauen dagegen sollten dunkel und halbbogenförmig sein. Man "verbesserte" sie oft mit geschwärztem Kork. Das Haar, oft ein Perücke, war gepudert und hochgesteckt (und voller Läuse).
Die Frauen trugen Korsette und Kleider mit schmalen Ärmeln mit Volants. Im Laufe des Jahrhunderts wuchsen auch die Unterröcke, um die schmale Taille hervorzuheben.
So weit die Theorie. Und sicher, das ist ja besser als gar nichts. Aber was ist alle Theorie gegen das Erlebnis, im Schloß eine "echte", lebendige Dame aus dem 18. Jh. zu treffen und dies alles selbst zu sehen? Nein, sie ist kein Teil der normalen Ausstellung - ich traf sie in der jährlichen Kulturnacht in Västerås, in der alle "kulturellen" Stellen der Stadt bis spät nachts offen haben. Aber auf meine Frage, wie sie mit dem Museum verbunden war, antwortete sie, daß sie dort arbeitete - in der Finanzabteilung. Das ist es, was einen Stempel der Herzlichkeit aufdrückt, was die Erlebnisse hervorstechen läßt - auch wenn man keine großen finanziellen Mittel besitzt, um durch spektakuläre Maßnahmen Publikum anzulocken, ja wenn sie kaum dazu reichen, all das, was man zeigt bis zum letzten i-Tüpfelchen herzurichten. Aber alles, was gezeigt wird, ist mit Umsicht und Freude an der Arbeit ausgestellt - und oft genug mit Überraschungen.
Oder was sagen Sie dazu, im Museum ein ganzes Haus zu finden, ein echtes Häuschen vom Anfang des 20. Jh., aus Zimmer und Küche bestehend. Man kann das Haus betreten und sofort ins damalige Alltagsleben hineinsteigen, mit Töpfen und Pfannen auf dem Holzherd, mit einem bestickten Wandbehang über der Holzbank und mit einer ersten Fotografi auf dem Schrank. Wenn man ganz still ist, kann man sogar eine Uhr ticken hören.
Mit Erstaunen erkenne ich plötzlich, daß meine Großeltern in dieser Umgebung aufgewachsen sind, daß es sich eigentlich gar nicht so sehr von meinen eigenen ersten Erinnerungen unterscheidet, wenngleich die auch schon bald ein halbes Jahrhundert alt sind...
Und hier knüpfen wir wieder an die Wirklichkeit an, hier endet die Zeitreise und läßt uns an das dritte Jahrtausend denken, das ja schon hinter der Ecke lauert, das aber in Wahrheit auch nur einen kleinen Schritt vom Eisenzeitalter entfernt ist, wo unsere Reise begann - wenn man mit der gesamten Entwicklung der Menschheit vergleicht.
Aber - bedenkt man dies, dann fällt einem plötzlich auf, daß wir in allen Zeiten viel Lärm um unsere eigene nichtige Bedeutung gemacht haben, wenn sie doch historisch gesehen in Wahrheit kaum den Fluß des Lebens gekräuselt hat, auf dem auch die "Großen der Geschichte" nicht einmal eine Welle zustande gebracht haben.

Bernhard Kauntz, Västerås, im November 1997


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