Nordwestlich von Wien liegt die Burg Kreuzenstein, zwischen Korneuburg und Stockerau. Von diesen beiden Städten aus nimmt man die Bundesstraße nach Leobendorf und fährt dann direkt an der Burg vorbei. Der groß angelegte Parkplatz lässt auf viele Besucher schließen, die das letzte Stück der Anhöhe jedoch zu Fuß erklimmen müssen.
Trotzig steht die Festung da, die dicken Mauern dem Angreifer die Stirn bietend, von den Türmen aus weit ins Land hinein Wache haltend. Freilich, gegen moderne Waffen und Flugangriffe bietet sie nur mehr wenig Schutz, was ja nicht zuletzt die beiden Weltkriege bewiesen. Doch zu ihrer Zeit, als die Verteidiger noch gegen anstürmende Feinde kämpften, war der Wallgraben allein schon ein großes Hindernis. Über der hochgezogenen Zugbrücke sieht man heute noch den Erker über dem Torbogen, durch den man Pech und heißes Öl auf die Gegner hinableerte, um sie, wenn möglich, von ihrem Vorhaben abzubringen.
War es den Angreifern dennoch gelungen, das gewaltige, eisenbeschlagene Burgtor zu forcieren, sahen sie sich dem nächsten Hindernis gegenüber: dem Zwinger. Der Zwinger ist ein langgestreckter Gang zwischen äußerer und innerer Burgmauer, der vom Wehrgang unter Beschuss genommen werden konnte. In Friedenszeiten diente er als Aufenthaltsort für Fremde und Schutzbedürftige.
Man vermutet, dass sich der Name der Burg von "Grizanstein" ableitet, Dietrich von Grizanstaine wird im Jahr 1115 urkundlich erwähnt und aus dieser Zeit stammt wahrscheinlich auch die Gründung der Burg. In den folgenden Jahrhunderten gab es viele verschiedene Burgherren, so z.B. Rudolf I. von Habsburg (1278) oder Niklas Graf von Salm (1525), der an der Vertreibung der Feinde bei der ersten Türkenbelagerung von Wien großen Anteil hatte. Die Festung war auch zweimal kurz in böhmischem Besitz und wurde im April 1645, im Dreißigjährigen Krieg, kampflos an die Schweden, unter Feldmarschall Lennart Torstensson, übergeben. Schon im Oktober desselben Jahres wurden die Schweden allerdings besiegt und sprengten bei ihrem Rückzug die Burg in die Luft.
Die Ruine von Kreuzenstein kam Ende des 17. Jahrhunderts an das Haus Wilczek. Die neuen Eigentümer ließen die Burg wieder aufbauen und hielten sie bis zum heutigen Tag instand.
Besonders erwähnenswert ist hier Graf Johann Nepomuk Wilczek, 1837 in Wien geboren, nachdem seine Familie aus Schlesien nach Süden gezogen war. Aus seinen eigenen Notizen wissen wir, dass er auf Kreuzenstein vor allem eine Begräbnisstätte für seine Familie suchte. Er ließ zunächst im Jahr 1874 die Gruft und die Kapelle neu erbauen, erst später folgte der Ausbau der heutigen Burg, um einen Standplatz für die vielerlei gesammelten Schätze des Grafen zu finden. Dabei legte er großen Wert darauf, den ursprünglichen Charakter der Burg zu erhalten, obwohl er versuchte, verschiedene Baustile harmonisch miteinander zu verschmelzen, wie es gegen Ende des 19. Jahrhunderts Mode war.
Dass er dabei an der Wehrhaftigkeit der Burg Abstriche machte, wie z.B. beim Einbau der südlichen Loggia, ist zu dieser Zeit durchaus verständlich.
Der Sammlerleidenschaft des Grafen ist es zu verdanken, dass Kreuzenstein heute seine Besucher ins Mittelalter entführen und ihnen anhand von authentischen Artefakten die Welt der damaligen Bewohner verständlich machen kann. Seien dies nun die Ritterrüstungen und die Waffensammlungen in der Rüstkammer, oder der 7,5 m lange Küchentisch, dessen Platte aus Eichenholz aus einem einzigen Stück gefertigt ist. Aber auch der Nudeldrucker (im Vordergrund des Bildes), eine "Spaghettimaschine" aus dem 16. Jhd., ist durchaus sehenswert.
Durch den äußeren gelangt man in den inneren Burghof; die beiden Höfe verbindet ein Spitzbogen, über dem sich der sogenannte Kaschauer Gang befindet. Dieser hat seinen Namen vom Kaschauer Dom bekommen. Die gotischen Arkaden und Maßwerkbrüstungen stammen nämlich vom Orgelchor desselben. Der innere Burghof ist ohne Zweifel der Mittelpunkt der Anlage, sowohl lagemäßig wie auch architektonisch.
Das Gehäuse des Ziehbrunnens, der 60 m tief ist, und Teile des Heberades stammen aus Venedig. Die Linde beim Brunnen hat Graf Johann Nepomuk selbst gepflanzt. Der Graf war nicht nur an Geschichte und Kunst interessiert, sondern er war auch ein Förderer der Wissenschaft. Er unterstützte zum Beispiel eine Nordpolexpedition im Jahr 1872, an der er selbst bis Spitzbergen teilnahm. Diese Expedition entdeckte unter anderem auch die Wilczek-Inseln und das Franz-Josephs-Land.
Von dieser Reise stammt auch der Narwalzahn, der in der Jagdkammer als Horn des imaginären Einhorns Verwendung fand. Das Innere der Burg ist voller Raritäten, die der Graf in seinem 85-jährigen Leben - er starb 1922 - zusammengesucht und gesammelt hat. Zum Teil sind das Bestandteile der Architektur, wie das Kapitell der Mittelsäule in der westlichen Loggia, das aus einer Basilika in Padua kommt, oder das Steinrelief hinter dem Taufbecken in der Kapelle, das wahrscheinlich aus dem 8. Jhd. stammt! Auch die Statue des hl. Roland neben der Eingangstür, aus dem 11. Jhd., ist schon fast 1000 Jahre alt! Die mittlere der Rundbogensäulen in der südlichen Loggia stammt aus Murano und ist aus dem 14. Jhd.
Die Originale der zahlreichen Glasmalereien in den Fenstern, die überall in der Burg zu finden sind, sollen natürlich erwähnt werden, wie auch ein Teil der originalgetreuen Nachbildungen, so z.B. die der Orgel aus dem 15. Jhd.
Abgesehen von einem Brand im Jahr 1915, der ein Viertel des Gebäudes und etwa 5000 Radierungen, Handschriften und Musikinstrumente zerstörte, waren es auch die beiden Weltkriege, die Kreuzenstein übel mitspielten. So gingen geschichtliche Unterlagen aus der Zeit der Kaiser Friedrich III. bzw. Maximilian I. durch den Krieg verloren. Auch die Orgel wurde stark beschädigt. Gegen Ende des 2. Weltkrieges befand sich die Burg im Schussfeld der gegnerischen Truppen. Mehr als 250 Artilleriegeschosse trafen die Dächer und die Mauern der Burg, zahlreiche Inventarien wurden gestohlen... In solchen Fällen kann ich nicht umhin, zu betonen, dass Krieg nicht nur Menschenleben kostet, sondern auch der gesamten Menschheit und damit allen kommenden Generationen Teile ihrer Geschichte raubt!
Doch zurück zum Humanismus und den zusammengetragenen Einrichtungsgegenständen. Deren gibt es so viele, dass es vollkommen unmöglich ist, auch nur einen Bruchteil davon aufzuzählen. Lassen Sie mich durch einige Beispiele zeigen, was Sie bei einem Besuch erwartet: Das Archiv beherbergt unter anderem Urkunden und Dokumente des Landesgerichtes Leobendorf. Einen Schuldschein von1281, eine Seelenmessestiftung aus dem Jahr 1384 und einen Lehensbrief von 1579 kann man selbst unter Glas besichtigen. Ebenso ist die Bibliothek eine wahre Fundgrube für Interessierte. Man betrachtet die vielen Überlieferungen aus alter Zeit fast ehrfürchtig, aber auch das Lesepult ist einen zweiten Blick wert. Weil die Bücher im Mittelalter so hohen Wert hatten, wurden sie an Ketten gehängt, damit sie nicht gestohlen werden konnten. Diese Ketten wurden dann oben an der eisernen Stange am Lesepult befestigt. Aber auch die Holzwerkarbeiten des Pultes und des Hintergrundes sollten Beachtung finden.
Im Fürstenzimmer, dem Schlafgemach, kann man das breite, aber sehr kurze Bett bewundern, in dem die Menschen nahezu sitzend schliefen, aber auch die großen, burgundischen Tapeten aus dem 15. Jhd. Auch die Kachelöfen sollte man eines Blickes würdigen, wie diesem hier im Saal, der mit biblischen Geschichten, unter anderem dem Sündenfall, bemalt ist. In der Vorhalle des Saales findet man den Wilhelms-Erker - als Erinnerung daran, dass auch der deutsche Kaiser Wilhelm hier zu Gast war. Sein Wappen ist im Fenster zu sehen. Der Saal selbst diente im Mittelalter als der zentrale Raum im gesellschaftlichen Leben. Ein Kredenzschrank und die Scherenstühle aus der Renaissancezeit sind Zeugen dafür, dass man hier auch die Mahlzeiten einnahm.
Das Prunkstück des Saales ist jedoch der "Brixner Schrank", der um etwa 1500 gebaut wurde und heute einer der wertvollsten des Landes ist. Nur von einer Werkstatt, bei Tamsweg in Salzburg, ist es bekannt, dass man zu dieser Zeit schon die Inkrustationstechnik beherrschte. Rankenverzierungen umschließen den Körper des Schrankes, in seinen Türfüllungen gibt es geschnitzte Bilder von Heiligenfiguren. Außerdem gibt es im ganzen Haus Details wie Deckenverzierungen, Statuen, Keramik und tausende andere "Kleinigkeiten", die zum Gesamteindruck beitragen.
Leider ist die Zeit einer Führung - eine knappe Stunde - viel zu kurz, um auch nur einen Bruchteil der Sammlungen näher zu betrachten. Trotzdem ist die Burg Kreuzenstein eine wahre Schatzkammer und gibt einen herrlichen Einblick in das Leben vergangener Jahrhunderte, sodass jeder Besucher voll auf seine Rechnung kommt.
|