SAGENHAFTES WIEN

Der liebe Augustin


Im Jahr 1679 wütete die Pest in Wien. Man erzählt, dass der Dudelsackspieler Augustin, der gern einen Schluck zuviel trank, oft folgendes Lied vortrug:

Oh du lieber Augustin,
's Geld ist hin, d' Freud ist hin.
Oh du lieber Augustin,
alles ist hin.

Sonst war jeder Tag ein Fest,
aber jetzt? - Pest, die Pest!
Nur ein großes Leichenfest,
das ist der Rest.

Oh du lieber Augustin,
leg' nur ins Grab dich hin.
Oh du mein herzliebes Wien,
alles ist hin.

Eines Tages, nach einer ausführlichen Wirtshaustour, schlief der liebe Augustin auf dem Weg nach Hause im Freien ein. Als die Männer mit dem Pestkarren, auf den man die Toten lastete, vorüberfuhren, glaubten sie wieder eine Leiche vor sich zu haben, luden Augustin auf und kippten ihn in eine Pestgrube.

* * * * * * * * * *

"Jessas, mein Schädel! Das war gestern wieder eine Sauferei. Aber es ist ja egal, die Leute sterben sowieso wie die Fliegen an der Pest. Das einzig Vernünftige in dieser Zeit ist eben ein Glaserl Wein, oder noch eines, sodass man das Elend ringsherum vergisst. Es war schon eine gesellige Partie gestern. Der Hansl, der Schmied, der schaut ja auch gern ins Glaserl und bei dem seiner Körperfülle geht schon was rein. Da sind so Leichtgewichtler wie der Schuster-Sepperl oder ich arm dran, wenn wir da mithalten müssen....
Au weh, mein Kopf! Ich weiß nicht, ich liege da so hart, wo bin ich denn eigentlich? Ich werd' einmal blinzeln... Oh jeh, das war ja viel zu hell, das hält ja kein Mensch aus! Da lass' ich die Augen lieber zu.
Es ist schon ein Jammer mit der Pest. Wenn das so weitergeht, bleibt bald niemand mehr über in unserer Wienerstadt. Nicht einmal begraben werden die Leute, die es erwischt, weil es so viele sind. Jetzt werden nur mehr große Gruben ausgehoben, in die man die Leichen hineinwirft, bis sie voll sind. Dann kommt so ein Schwarzrock, liest ein Vaterunser, gibt seinen Segen - und dann wird zugeschaufelt. Gestern war dem Toni sein Mariandl dran und der kleine Pepi. Mein Gott, der Bub war erst fünf Jahre alt. Da muss ich fast froh sein, dass ich niemand habe, um den ich traurig sein muss.
Komisch, dass ich so durstig bin. Man sollte meinen, ich hätte gestern genug getrunken. Wenn sie mir einmal ein Denkmal setzen, dann müsste das über einem Brunnen stehen, um meinen Durst stillen zu können. Kalt ist mir auch. Ah ja, stimmt schon, der Wirt wollte mir ja nichts mehr auf Kreide geben, gestern, da habe ich halt meinen Rock eingesetzt. Es sind schon Lumpen, die Wirte, kein Mitleid haben sie. Vorige Woche erst hat mein schöner Spazierstock dran glauben müssen, aus demselben Grund wie der Rock. Bald werden sie mir mein letztes Hemd ausziehen...
Halt! Was ist denn das? Da hat es mir jetzt auf mein Hirn getropft. Wegwischen. Anschauen. Anschauen? Augen aufmachen? Na komm, Augustin, einmal muss es ja sein... Wui, es ist ja wirklich schon helllichter Tag. Pfui, da hat mich ein Vogel angekleckert. Na so was! Nicht einmal die Tiere haben Achtung vor mir. Aber was soll es? Es gibt Schlimmeres. Wenigstens die Sonne scheint. So, jetzt schau' ich mich gleich ein bisserl um... Da schau her, da liegt ja einer neben mir. Der schläft noch. Schön jedenfalls, dass man nicht ganz allein ist, in seinem Rausch. Na, den weck' ich jetzt auf...
'Na, Bruder, bei dir ist es wohl auch spät geworden, gestern, gell?' - Der rührt sich nicht, der ist noch immer besoffen, glaube ich. Aber hallo! Da liegt ja noch einer! Und da, auf der anderen Seite, auch noch ein paar. Das muss gestern ein richtiges Gelage gewesen sein! Aber komisch, der rührt sich auch nicht! Was ist denn da los?
Um Gottes willen... jetzt dämmert es mir erst. Das sind ja lauter Tote! Mir scheint, ich bin da in einer Pestgrube gelandet! Na, also da gefällts mir nicht! Da geh' ich aber schnell, bevor sie mich noch anstecken! Es ist eh schon höchste Zeit für ein Frühstück. Ich werd' einmal schauen, wo da ein Wirtshaus ist..."

* * * * * * * * * *

Unterwegs dichtete der liebe Augustin dann vielleicht die Strophe, die sich im Volksmund bis in unsere Zeit erhalten halt:

Oh du lieber Augustin,
Augustin, Augustin!
(Man verzeihe ihm die Wiederholungen, aber sein Kopf ging noch immer nicht auf Hochtouren.)
Oh du lieber Augustin,
alles ist hin.
Rock ist weg, Stock ist weg,
Augustin liegt im Dreck!
Oh du lieber Augustin,
alles ist hin!



PS: Ein herzliches "Danke schön" an Hedwig Abraham, die mit großem Eifer - mit Hilfe von Kieselsteinen und Zweigen - die Tauben verscheuchte, die den armen Augustin auch heute noch schonungslos ansch..., sodass ich ein "vogelfreies" Foto machen konnte. Der Augustin-Brunnen steht an der Ecke Neustiftgasse-Kellermanngasse.


Copyright Bernhard Kauntz, Västerås, Schweden 2003


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