Wien 1., Stadtspaziergang (Teil 10)


Wir kehren zurück zum Burgtor, das vom Ring zum Heldenplatz und zur Neuen Burg hineinführt. In Goldschrift verewigt ist Kaiser Franz I, als Bauherr des Tores - "Franciscus I Imperator Austriae MDCCCXXVI". Das alte, befestigte Stadttor an dieser Stelle hatte nämlich Napoleon 1809 in Grund und Boden geschossen. Dieses war schon 1660 gebaut worden und hatte einen noch älteren Vorgänger aus dem 13. Jahrhundert ersetzt.
Mit schwarzen Buchstaben steht darunter "Laurum Militibus Lauro Dignis MDCCCCXVI", was in etwa bedeutet:
Lorbeer den Soldaten, die den Lorbeer verdient haben. Die Jahreszahl zeigt, dass dieser Spruch mitten im Ersten Weltkrieg dazugesetzt wurde.
Im Inneren des Burgtores befindet sich teils eine Krypta und ein Heldendenkmal, die den Opfern des Ersten Weltkrieges gewidmet sind - sowie auf der anderen Seite ein Weiheraum "für die Opfer des österreichischen Freiheitskampfes" im Zweiten Weltkrieg.
Die Inschrift an der Innenseite des Tores macht ebenfalls eine Aussage: "Iustitia Regnorum Fundamentum" -
Gerechtigkeit ist das Fundament der Herrschaft. Vermutlich war es als Erinnerung dort angebracht, damit die Kaiser dies nicht vergessen sollten ...

Wir sind durch das Burgtor gegangen und stehen jetzt auf dem Heldenplatz, mit dem Halbrund der Neuen Burg an unserer rechten Seite. Diese Neue Burg wurde als Teil des Kaiserforums von Kaiser Franz Joseph bestellt. Das Kaiserforum sah auf der gegenüber liegenden Seite ein weiteres, spiegelbildliches Halbrund vor, das aber nie verwirklicht wurde.

Durch diesen Plan wären auch die beiden großen Museen, auf der anderen Seite der Ringstraße, näher an die Burg geknüpft worden. Das wäre nicht ganz unlogisch gewesen, beinhalten die beiden Museen doch als Basis die Sammlungen der Habsburger.
Damit wäre auch der Heldenplatz wieder zu einem geschlossenen Teil der Burg geworden, während er heute gegen Westen offen ist. Bevor die Neue Burg hier stand, war der Heldenplatz ja der äußere Burgplatz des älteren Teils der Hofburg. Der Name "Heldenplatz" kommt von den beiden "Helden", die als Reiterstatuen in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts hier aufgestellt wurden. Im Bild rechts sehen wir Prinz Eugen von Savoyen, diesen für die französische Armee zu klein geratenen Adelsmann, der dann an österreichischer Seite die Bedrohung durch das Osmanische Reich für immer löste, als er die Türken über den Balkan zurückjagte.
Der zweite Held ist Erzherzog Karl von Österreich-Teschen, der allererste Feldherr, der Napoleon in einer Schlacht besiegt hatte.
Ein ebenso großer Held ist jedoch der Bildhauer des Denkmals, Anton Dominik von Fernkorn, dem es gelang, die ganze, mächtige Statue nur auf den Hinterbeinen des Pferdes ruhen zu lassen.

Egal, ob jetzt der zweite Teil des Kaiserforums gebaut wurde, oder nicht - die Neue Burg war ein perfektes Konzept für die Zeit in der sie gebraucht wurde. Sie strahlt Kraft aus, ohne drohend zu wirken - und das war gerade das, was der Vielvölkerstaat Österreich symbolisieren musste. Nämlich die Kraft, um das ganze Imperium regieren zu können, aber ohne Peitschenknall, der die aufständischen und nationalistischen Strömungen noch verstärkt hätte. Leider wurde die Neue Burg zu spät fertig, nämlich erst im Jahr 1913 - und das, nachdem ein gewisser Herr Churchill in einem Brief versichert hatte, dass man sich im Jahr darauf schon im Krieg befinden würde. Dann half man auf dem Balkan kräftig nach, die Stimmung gegen Österreich anzuheizen.

Das Aufwiegeln ist ja heute noch eine der anglo-amerikanischen Spezialitäten auf dem ganzen Erdball, egal ob es im Kosovo, in der Ukraine oder anderswo geschieht. Aber zurück zur Hofburg ...
Gerade vor uns liegt nun ein langgestreckter Gebäudeteil, der Leopoldinische Trakt. Die Hofburg ist in vielen verschiedenen Etappen erbaut worden, daher müssen wir uns jetzt wieder ins 17. Jahrhundert begeben, um Kaiser Leopold I zu treffen, der den Auftrag zu diesem Teil gab. Der Balkon kam erst knappe hundert Jahre später dazu. Dieser Teil ist heute der Amtssitz des Bundespräsidenten.
Der Heldenplatz erstreckt sich längs des ganzen Leopoldinischen Trakts und wird übergangslos zum Ballhausplatz, wo sich heute das Bundeskanzleramt, also das politische Zentrum Österreichs befindet. Das Gebäude wurde Anfang des 18. Jahrhunderts von Johann Lukas von Hildebrandt erbaut und diente als "Geheime Hofkanzlei" und später als Außenministerium. Der Name Ballhaus leitet sich von dem Ballspiel ab, das schon Kaiser Ferdinand I nach Wien brachte. Es war dies eine frühe Form von Badminton.
Die Inschrift über dem Tor erlaubt es mir jetzt, ein wenig persönlich zu werden. Auch wenn der gute Wenzel Fürst Anton Kaunitz-Rittberg nicht in direkter Linie ein Vorfahre ist, haben wir beide doch gemeinsame Ahnen. Im besten Fall ist er also ein Urururgroßonkel dritten oder fünften Grades ... Aber er vermerkt, dass dieses Praetorium, dieser Befehlsstand für äußere Angelegenheiten - mit Maria Theresias kaiserlichem Wohlwollen - dank seiner Fürsorge im Jahr 1767 restauriert worden ist. Ist das vielleicht nichts? Dass er 1767 folgendermaßen schreibt: "CIƆIƆCCLXVII", zeugt wohl von der mehr exzentrischen Seite der Familie.
Tatsache ist aber, dass dieser Wenzel Anton im 18. Jahrhundert in höchstem Grad für die Außenpolitik Österreichs mitbestimmend war und damit für eine pro-französische Haltung sorgte.
Hier war aber auch Fürst Metternich tätig, der "Kutscher Europas", beim Wiener Kongress, als man die Unordnung Napoleons wieder herstellen musste. Hier wurde auch der Kanzler Dollfuss im Jahr 1934 von Nazisten ermordet (siehe auch im Artikel über die Michaelerkirche).
Dieser kurze Tunnel führt vom Ballhausplatz zurück in die Burg. Links sehen wir den Aufgang über die Adlerstiege, die einst zu den Wohnräumen Maria Theresias führte. Aber im Alter wurde diese Dame so beleibt, dass sie den Aufstieg nicht mehr schaffte. Deshalb baute man an der Außenseite eine Rampe.
Über diese konnte sie von einer Kutsche bis hinauf gezogen werden.
Wir befinden uns nun im Inneren Burghof oder "in der Burg", wie der Platz auch genannt wird. Wir drehen uns erst einmal um und betrachten die Amalienburg. Sie stammt aus dem 16. Jahrhundert und wurde von Maximilian II für seinen Sohn Rudolf erbaut. Daher hieß dieser Teil einmal Rudolfinischer Trakt. Aber dieser Kaiser zog Prag als Residenzstadt vor ...
Doch wenn Rudolf auch nie hier residierte, war er in allerhöchstem Grad wissenschaftlich interessiert.
Das zeigt sich an der Sonnenuhr, die er von dem Astronomen Tycho Brahe bauen ließ, wie auch die Monduhr, die heute noch funktioniert. Der gelbe Fleck auf dem Bild zeigt nämlich die Mondphasen an, hier gerade kurz vor Vollmond. Oben am Turm der Amalienburg sehen wir das "Burgrössl", ein Windrad. Den jetztigen Namen hat dieser Teil nach der Witwe von Joseph I, Wilhelmine Amalia, die hier lebte.
Wenn wir vor der Amalienburg stehen, haben wir die Innenseite des Leopoldinischen Trakts linker Hand. Außer der "Zuckerbäckerstiege" zu Maria Theresias Räumen und einem alten Wachthaus der Burgwache, fast beim Burgtor, gibt es hier nicht viel zu erwähnen. Die andere Länge dagegen besteht aus dem sogenannten Reichskanzleitrakt. Es war dies die Kanzlei des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, so lange - bis 1806 - dieses Bestand hatte. Dieser Teil wurde Anfang des 18. Jahrhunderts unter Kaiser Karl VI von Fischer von Erlach, Vater und Sohn, gestaltet.
Viele Tore des Gebäudes sind von Statuen des Herakles flankiert, die zeigen, wie er seine Großtaten ausführt.
Hier hatte der Reichsvizekanzler seine Amtsräume. Er war, trotz des "vize" in seiner Bezeichnung, der wirkliche Reichskanzler, da der Titel des "Reichserzkanzlers" schon seit dem Mittelalter dem Bischof von Mainz gehörte. Dieser aber hatte nichts mit der Verwaltung des Reiches zu tun, sondern hatte das Mandat wohl eher dafür, dass er als Kurfürst "richtig" wählen sollte. Dennoch half es nichts, denn seine Stimme entschied 1742, dass die Habsburger drei Jahre lang nicht den Kaiser stellten. Er gab dem Bayern Karl Albrecht seine Stimme, statt Maria Theresias Gatten, der erst ein wenig später als Franz I Kaiser wurde. Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches, lebte der Herzog von Reichstadt hier, der Sohn Napoleons mit Marie-Louise von Österreich. Noch später waren hier die Quartiere von Kaiser Franz Joseph und Sisi.
Man kann die Kaiserappartements auch heute noch besichtigen.
Wir aber gehen über den ganzen Platz zurück, mitten im Hof an einem Denkmal für Kaiser Franz II/I vorbei, bis wir auf der anderen Seite zum Schweizer Tor kommen. Das Schweizer Tor erhielt seinen Namen relativ spät, erst unter Maria Theresia, als die Schweizergarde die Burg bewachte. Erbaut wurde das Tor in seiner jetztigen Form schon im Jahr 1552 unter Kaiser Ferdinand I, dem Bruder von Karl V. Nichtsdestoweniger ist der Teil der Burg im Schweizerhof, hinter dem Tor, noch älter. Schon 1279 wird dieser, von vier Türmen umgebener, Burgbau erwähnt. Das Schweizertor diente damals als Eingang zur Burg. Man kann auch heute noch die Rollen der Zugbrücke sehen, die früher über den Wassergraben führte (die schwarzen, runden Punkte am Tor). Wenn man vor dem Tor über das Geländer sieht, kann man heute noch ausmachen, wo und wie tief sich der Wassergraben erstreckte (Bild unten).
Die Restaurierung des Tores haben wir einem Privatier zu verdanken, der es 1949 aus eigenen Mitteln wieder herstellen ließ, und zwar in Erinnerung an seinen Vater. Henriette Mandl, deren Buch ich auf all diesen Stadtwanderungen gefolgt bin, lässt Bernhard Altmann selbst darüber sprechen - und ich will gern diese Tradition aufrecht erhalten. Er sagte: "Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, nahm mein Vater mich und meine Schwester mit zur Osterparade im Inneren Burghof. Da stand dieser gütige Mann vor dem sogenannten Schweizertor, dem ältesten Teil der Hofburg, und trug mich und meine Schwester
zwei Stunden lang auf seinen Schultern. Ich werde nie vergessen, was mein guter Vater für uns Kinder getan hat.
Als ich 1949 nach Wien zurückkehrte und sah, in was für einem erbarmungswürdigen Zustand das Schweizertor war, ließ ich es zum Andenken an meinen Vater restaurieren und es trägt die Inschrift 'In memoriam Caroli Altmann'."

Gerade heute sind vielleicht weder private Förderungsinitiativen, noch die Dankbarkeit der Kinder ihren Eltern gegenüber sehr ausgeprägt, weshalb diese Anekdote auf jeden Fall bewahrt sein will.
Auch auf der anderen Seite des Tores befindet sich eine Inschrift, die allderdings Rätsel aufgibt.

Die Inschrift lautet: "Si Deus pro nobis quis contra nos 1660", was bedeutet: "Wenn Gott mit uns (ist), wer (ist) gegen uns", oder vielleicht besser: "wer (könnte dann) gegen uns (sein)". Es gibt ein paar Vermutungen, wie dieser Text hätte zustande kommen können, aber die Jahreszahl passt zu keiner dieser Annahmen.
Wir verlassen jetzt das Tor und werfen einen Blick in den Hof des Schweizertrakts. Eine Anekdote erzählt von der Ankunft des Neffen von Joseph II, des späteren Franz II/I, der aus Italien geholt wurde, um am Hof erzogen zu werden, da Joseph II selbst keine Erben haben würde. Als die Kutsche bei der Botschafterstiege (im Bild rechts) hielt, soll der junge Mann zum Kutscher gesagt haben: "Aus is' mit der Gaudi, Johann, ab morgen bin ich Kaiserlehrling". Sehr begeistert dürfte er von seiner Zukunft nicht gewesen sein ...
Aus schriftlichen Quellen wissen wir, dass seit 1296 in diesem Trakt eine Hofburgkapelle existierte. Die heutige wurde allerdings erst rund 150 Jahre später fertig. Aber seit 1498 ist sie der Sitz der Wiener Hofmusikkapelle. Doch nicht nur das. Hier singen auch die Wiener Sängerknaben jeden Sonntag um 9.15 Uhr zur Messe. Bitte beachten Sie, dass dies kein Konzert der Sängerknaben ist, sondern dass ihr Auftritt allein im Rahmen des Gottesdienstes geschieht.
Damit haben wir den Rundgang durch das Areal der Hofburg abgeschlossen.
Bevor wir uns verabschieden, möchte ich Sie jedoch einladen, mit mir noch in den Burggarten zu kommen, um dort einem Herrn unsere Reverenz zu erweisen. Wir verlassen den Schweizerhof, biegen links ab und gehen die ganze Neue Burg entlang, wo wir dann wieder links gehen und uns im Burggarten befinden. Wir gehen am Standbild von Mozart vorbei, in die hinteren Regionen des Gartens - und dort steht er.
Nicht hoch zu Ross, fast unscheinbar steht dort "der erste Diener seines Staates", der länger als irgendein anderer Monarch regiert hat und dem das Schicksal so harte Willküren auferlegt hat. Er war vielleicht nicht der Hervorragendste der Habsburger - aber er war sicher der Ehrlichste von ihnen. Deshalb glaube ich, dass Franz Joseph, dieser unauffällige, aber enorm starke Kaiser, einen guten Abschluss dieser Stadtwanderungen bildet. Auch als Symbol der Stadt Wien, einer Stadt, die nicht die Verherrlichung von Paris erreicht auch nicht den Zauber von Rom, nicht die Macht von Moskau und nicht die Anziehungskraft von London, die aber Stärke und nicht zuletzt Kultur genug besitzt, um ein internationales Zentrum für die ganze Welt sein zu können.

Ich danke Ihnen, dass sie mich auf meinen Wanderungen begleitet haben und hoffe, dass Ihnen Wien immer in guter Erinnerung bleiben wird.

© Bernhard Kauntz, Västerås, Schweden, 2014


Zurück zu den   oder zum   vom  


Seite erstellt am 24.9.2014 by webmaster@werbeka.com