Die Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus


Eigentlich mag ich Friedhöfe nicht. Meiner Ahnen kann ich auch ohne Mahnmal gedenken und meine Nachkommen sollten mich auch in Erinnerung behalten können, ohne mein Grab pflegen zu müssen. Schon als Kind war mir die Straßenbahnlinie 71 suspekt, weil sie zum Zentralfriedhof hinaus führt. Jetzt sitze ich selbst drinnen, weil ich mir die neurenovierte Friedhofskirche ansehen will.

1874 begann die Stadt Wien, den Friedhof zu nutzen, lese ich unterwegs. Er sollte allen Konfessionen zugänglich sein. Die Friedhofskirche, die - ebenso wie die Karlskirche - dem Karl Borromäus gewidmet ist, wurde allerdings erst 1911 fertiggestellt. Ihr Architekt, Max Hegele, war erst 27 Jahre alt gewesen, als er die Ausschreibung gewann. In den Jahren 1995 - 2000 wurde die im Jugendstil erbaute Kirche originalgetreu renoviert.

Inzwischen bin ich beim II. Tor des Zentralfriedhofs ausgestiegen und erhasche durch den pylonenumgebenen Eingang einen ersten Blick auf die Kirchenkuppel, die bis in eine Höhe von 60 Metern emporragt.

Auf dem Weg zur Kirche fragt mich ein junger Tourist, ob ich wisse, wo Beethovens Grab liege. Ich verneine, komme aber kurz darauf selbst an den Gräbern diverser berühmter Personen vorbei. Ein kurzer Überschlag zeigt aber, dass diese Gräber oft nicht mehr als Denkmäler sein können. Mozarts Grab befindet sich hier, zum Beispiel, aber kein Mensch weiß, wo Mozart begraben wurde. Später lese ich, dass Beethoven am Währinger Friedhof bestattet wurde, dass man aber seine Überreste mehr als 60 Jahre später hierher überführt hat...
Wieder erhebt sich die Frage nach dem Sinn. Zugegeben, diese Ehrengräber sind eindrucksvoll, aber als Erinnerung füllt ein Denkmal mitten in der Stadt seine Aufgabe wohl besser, als dieses Prominentengetümmel als Touristenattraktion? Hier gibt es alles, was Rang und Namen hatte. Hasenauer, der Architekt der beiden Ringstraßenmuseen, Theophilus Hansen, der Erbauer des Parlaments, Hans Makart, der "Ringstraßenmaler", Johann Nestroy, der literarische Possenreißer des 19. Jahrhunderts, Franz Schubert
und Johann Strauss und jede Menge Politiker; von Bürgermeistern Wiens über Bundeskanzler bis zu Bundespräsidenten ist alles vorhanden. Inwiefern inmitten von so viel Aufmachung noch ein Funken Pietät übrigbleiben kann, ist zu bezweifeln...




Die Gräber von oben nach unten:
Linke Reihe: Hasenauer, Schubert, Nestroy
Rechte Reihe: Beethoven, Makart, Hansen

Aber zurück zur Kirche... Auch wenn das Äußere, und hier nicht zuletzt die Kuppel, an eine Barockkirche erinnert, so ist das Innere einer Jugendstilkirche lange nicht so verschnörkelt verziert, wie ihre barocken Vorgänger. Im Gegenteil, das Einfache wird betont, der Raum als solcher gewinnt mehr Bedeutung.
So auch hier. Die Kirche ist zwar in der Form eines Kreuzes gebaut, die vier Kreuzarme sind aber sehr kurz gehalten. Das Gewölbe der Seitenarme ist außerdem noch von Säulen abgegrenzt, sodass der große, runde Innenraum unter der Kuppel völlig dominiert. Auch der Altar ist einfach gehalten, es gibt keine Schnörkel und vergoldete Putti, sondern viel Freiraum und höchstens eine moderne Verzierung, oft in Mosaikform.
Mosaike, ein typisches Merkmal des Jugendstils, dominieren überhaupt - seien es die über 60 000 Steine, die für die Bodenmosaike gebraucht wurden, oder die Bilder der vier Evangelisten - von Leopold Forstner - die an den Pfeilerwänden angebracht sind (rechts oben Johannes). Forstner ist auch für die Glasfenster verantwortlich, bei denen sich die Stadt Wien als Erbauer der Kirche selbst ein Denkmal setzte.
Man muss allerdings zugeben, dass das Wappen der Stadt gut in eine Kirche passt. Statt plastischer Figuren verwendete man Reliefkunst, wie oben "Die Erweckung der Tochter des Jairus" von Jakob Gruber. Die zwölf Reliefs der Kirche stammen alle von verschiedenen Künstlern und bilden einen Querschnitt durch die Bildhauerkunst in Wien um die Zeit nach der Wende zum 20. Jahrhundert.

Der Höhepunkt der Kirchenbesichtigung ist jedoch das Kuppelmosaik. 21 000 Mosaikteile wurden verwendet, um die 999 Sterne und den Strahlenglanz am Nachthimmel zu vervollständigen. 1944 hatten die Aliierten eine Brandbombe auf die Kuppel der Kirche geworfen, die nicht nur ihr Äußeres, sondern auch Teile des Mosaiks schwer beschädigte. (Was eine einsame Kirche mitten auf einem großen Friedhof, fernab jeder Zivilisation für Kriegsziel bilden konnte, ist jedenfalls mir ein Rätsel.) Bei einer notdürftigen Reparation nach dem Krieg wurde die innere Kuppel nur ausgemalt, bei der neulich erfolgten Restauration jedoch unter Zuhilfenahme von historischen Detailfotos wieder im ursprünglichen Stil nachgebildet. Dabei wurden mehr als zwei Kilogramm Blattgold verarbeitet.
Auch die Unterkirche ist in sehr einfachem Stil gehalten. Mit ihren 40 Bodengrüften dient sie als Begräbnisstätte, wo nicht zuletzt auch das Grab Dr. Karl Luegers zu finden ist, des Mannes, der Wiens Bürgermeister war, als die Kirche erbaut wurde.

Vom Jugendstil in Wien zu reden, ohne Otto Wagner erwähnt zu haben, ist nahezu ein Sakrileg. Von Jugendstilkirchen zu sprechen, ohne dabei die Kirche am Steinhof erwähnt zu haben, ist vielleicht noch schlimmer. Deshalb habe ich es hiermit getan. Trotzdem steht Max Hegeles Werk am Zentralfriedhof anderen Werken kaum nach. Und auch wenn die Kirche keine goldene Kuppel hat, ist sie durchaus einen Besuch wert.


© Bernhard Kauntz, 2003 Västerås, Schweden



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