Sagrada Familia in Barcelona
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Das erste Mal sah ich die Kirche Ende der Achtzigerjahre. Da ragten eigentlich nur ein paar Türme gegen den Himmel. Vom Park aus konnte man in den leeren Kirchenraum hineinsehen. Damals sah es ungefähr so wie auf dem Bild aus, das heute im Kirchenmuseum zu sehen ist.
Vor ein paar Jahren war ich wieder in Barcelona und wollte gern das Innere der Kirche sehen, weil die Öffentlichkeit ab 2010 hineinkommen durfte. Aber da ringelten sich die Warteschlangen um die halbe Kirche. Da ließ ich es bleiben.
Jetzt hat man doch auch das in den Griff bekommen. Heute ist es am einfachsten, wenn man die Karten im Internet bestellt - da braucht man überhaupt nicht warten. Man betritt die Kirche vom Osten her und kommt in ein Querschiff, wenn man in diesem außergewöhnlichen Gebäude von diesen Begriffen sprechen kann.
Es ist nämlich so, dass die Türme, die schon heute stehen, die Querschiffe abschließen - es gibt deren drei, sowie fünf Langschiffe, die sich von Süden nach Norden strecken. Das Haupttor befindet sich im Süden und vermutlich verlegt man den Eingang, wenn die Kirche einmal fertig ist. Es ist geplant, dass sie 2026 fertig sein soll, zum 100. Todestag von Antoni Gaudí.
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Man kommt hinein und verstummt. Ich bin nicht sehr "kirchlich", aber ich habe viele große Kirchen gesehen. Dies hier kommt so unerwartet, dass es mir die Sprache verschlägt. Es ist eine Explosion von Raum und Farbe, in der ich mich befinde. Und ja, das muss für die Gläubigen die moderne Version der Glorifizierung Gottes sein. Aber auch meine Einsicht in die Kirchenbauten des Mittelalters wird dadurch größer. Ich verstehe plötzlich, warum es für die Menschen so wichtig war, etwas Außerordentliches zu erschaffen, genau wie hier.
Aber was sind Worte? Was sind Bilder? Sie können nur eine blasse Spiegelung der Wirklichkeit sein, die man erlebt, wenn man tatsächlich dort steht, gefangen im Eindruck der gigantischen Architektur und der Verzauberung des Lichts.
Aber jetzt kommen wir von dem fast übernatürlichen Erlebnis zurück und sehen uns ein paar Fakten an.
1882 wurde der Grundstein gelegt, nach einem Plan des Architekten Francisco del Villar. Es war der "Verein der Anbeter des Hl. Joseph", der den Kirchenbau zur Ehre ihres Heiligen und der ganzen Heiligen Familie vorantrieb.
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Die Kirche wurde benötigt, weil die Städte im Zeitalter der Industrialisierung gigantisch anwuchsen. Aber schon nach einem Jahr hatte Architekt Villar große Meinungsunterschiede mit dem Verein und trat zurück. Da bekam ein junger Architekt den Bauauftrag. Er hieß Antoni Gaudí und war nur 31 Jahre alt.
1889 wurde die Krypta laut den ursprünglichen Plänen fertig, aber nachher ging es nur sehr sachte voran, weil das Geld fehlte. Gaudí benutzte die Zeit, um seine Zeichnungen zu verfeinern. Als 1892 eine große Geldsumme geschenkt wurde, begann man mit dem Bau der Geburtsfassade, dort, wo man heute die Kirche betritt. Gaudí wollte damit anfangen, um der Bevölkerung zu zeigen, wie schön die Kirche werden sollte. Das Bild zeigt einen Teil davon, der sich gerade über dem Portal befindet.
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Im Norden wird die Kirche von der Apsis abgeschlossen, die innen aus sieben Kapellen besteht, während sich auf der Außenseite Bilder aus dem Leben des Hl. Joseph befinden. Details oder einzelne Skulpturen kann ich nicht beschreiben, sonst müsste ich ein ganzes Buch daraus machen. Die drei anderen Fassaden sind dem Leben Jesu gewidmet, daher die Namen Geburts- Glorie- und Passionsfassade. An Letzterer sind also die Leiden Christi abgebildet.
Ein Wort zur Krypta: sie wird heute für Messen verwendet, wie auch für privaten Gebrauch, sodass sie für Besucher nur ein paar Stunden täglich geöffnet ist. Schade, weil Gaudís Grab sich da unten befindet - ich hätte dem großen Innovator gern meine Reverenz erwiesen.
Wir befinden uns also in dem 60 Meter langen, mittleren Querschiff. Die Langschiffe messen 90 Meter. Das Auge folgt den Pfeilern aufwärts. Nach einem Kapitell wachsen mehrere neue Pfeiler heraus, die sich ihrerseits verästeln und so an die Form von Bäume erinnern, bis sie in 45 Metern Höhe das Gewölbe erreichen.
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In der Vierung beträgt die Höhe des Gewölbes ganze 60 Meter und in der Apsis 75 Meter. Die Mosaiken an der Decke und an den Säulen, sind Symbole, die ich auch nicht hier behandeln kann.
Wir wenden den Blick nach links und werden von der Farbenpracht im Seitenschiff überwältigt. Welch Unterschied zu dem Dunkel traditioneller Kirchen. Welche Freude aus dem Spiel des Lichts ensteht, das von Lampen und den Mosaiken farblich abgestimmter Fenster ausgestrahlt wird.
Wenn man all dies sieht und gleichzeitig bedenkt, dass die Kirche noch nicht fertiggebaut ist, fragt man sich, wie das Endresultat wohl den heutigen Eindruck noch verstärken könnte. Aber natürlich, es fehlt noch ein Großteil. Die Südfassade muss noch ausgebaut werden, eine Menge Türme fehlen noch (die Pläne sprechen von 18 Glockentürmen), nicht zuletzt der zentrale Turm, der 172 Meter in die Höhe ragen soll. Außerdem geschehen noch viele Arbeiten im Inneren, was leider mit sich führt, dass Teile der Kirche abgesperrt sind, unter anderem die Fläche um den Hauptaltar. Gleichzeitig erinnert das aber auch an all die Arbeit, die schon ausgeführt wurde.
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Außerdem wird man daran erinnert, welche Leistung es ist, eine Kirche zu bauen, egal ob heute oder früher.
Wir folgen dem Seitenschiff nach Süden und das nächste Wunder ist die Wendeltreppe, die zu einem der Türme führt. Man kann, mit einer Zusatzkarte, den Turm besteigen, um die Aussicht von oben zu genießen. Aber ich überlasse das jüngeren Generationen. In der Treppe sehen wir Glasfenster in denselben Farben wie eben im Seitenschiff. Auf der anderen, also der westlichen Seite, haben Fenster und Beleuchtung andere Farbvariationen.
Der erste Turm war übrigens schon 1925 fertig. Gaudí erlebte das noch, aber bereits im Jahr darauf starb er in einem Verkehrsunfall. 1936 im Bürgerkrieg wurden dann große Teile der Kirche zerstört, als Franco an die Macht kam und in Spanien eine vierzigjährige Diktatur einführte. Wie immer sind es Politik und Machtbegierde, die die ärgsten Feinde der Kultur sind. Wieviele Kulturwerte müssen wir im Lauf der Jahrtausende verloren haben! Zum Glück entschied man sich, die Sagrada Familia zu reparieren.
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Erst 1954 begann man dann mit der Passionsfassade und nicht vor 1977 waren ihre vier Tüme errichtet. Dann dauerte es noch zehn Jahre, bevor ihre Skulpturen fertig waren. Es ist erst 20 Jahre her, seit die Gewölbe die Seitenschiffe bedecken. Die im Hauptschiff und den Querschiffen sind noch ein paar Jahre jünger. 2010 wurde die Kirche von Papst Benedikt XVI eingeweiht und gleichzeitig zur Basilika erhoben. Der Dom mit dem Bischofssitz ist allerdings Santa Eulàlia. Eulàlia ist übrigens die Schutzheilige von Barcelona.
Von hier, ganz hinten in der Kirche, bekommen wir einen guten Blick auf das Hauptschiff, bis zum Altar (leider hinter einer Planke) und der Apsis. Auf den Lichterring über der Planke kommen wir später zurück. Um eine Vorstellung von der Größe zu bekommen, will ich auf Kopf und Brust eines Menschen hinweisen, der ganz unten, rechts vom Copyrighttext steht. Aber sie müssen sehr genau hinsehen.
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Jetzt, ganz am Südende, stehen wir vor dem Glorientor. Hier wird einmal der Haupteingang sein. Das Tor ist von Josep Subirachs erschaffen worden. Mit erhöhten Buchstaben steht hier das ganze "Vater Unser" in Katalanisch, aber die Initialphrase wird als Hintergrund in fünfzig verschiedenen Sprachen wiedergegeben - als Symbol für das Verständnis verschiedener Kulturen. Das ist natürlich ein schöner Gedanke, aber in Wirklichkeit leider weit weg von der Theorie. Ich frage mich, ob das nicht schon in den Zeiten der Kreuzzüge und der Inkvisition galt, als die Kirche selbst Andersgläubige verfolgte. Ich denke auch an die Gegensätze, die heute die Katalanen und den Rest von Spanien teilen.
Aber wir lassen die Filosofi und gehen jetzt nördlich durch das linke Seitenschiff. Es gleicht dem anderen, nur die Farbkaskaden sind anders, hier sind sie grün und gelb. Die Gallerien sind ausgebaut für diverse Chöre - insgesamt gibt es dafür 1500 Plätze in der Kirche.
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Der Altar befindet sich, wie gesagt, leider hinter einer Planke, weil dort gearbeitet wird. Der Altartisch steht im vorderen Teil der Apsis, so wie es heute modern ist, weil man den Gläubigen näher kommen will. Weil der Altar freistehend ist, kann man keinen Aufsatz machen oder ein Altarbild aufstellen. Aber man hat trotzdem eine nette Lösung gefunden. Hoch über dem Altar (und daher auch über der Absperrung) schwebt ein Baldachin unter dem der gekreuzigte Christus hängt, von einem Lichterkranz umgeben. Dieser wurde von Carles Mani erschaffen, der den Auftrag dazu von Gaudí selbst bekam.
Im Hintergrund sieht man einen Teil der einzigen Orgel, die bisher installiert ist. Man hat noch keine Lösung dafür gefunden, wie man dieses enorme Bauwerk lautmäßig füllen soll. Vermutlich werden es mehrere Orgeln, die aber alle zusammengekoppelt werden. Man berechnet, dass man insgesamt an die 8000 Pfeifen brauchen wird.
Der Altartisch selbst ist ein großer Steinsockel aus Porphyr. Er steht zwischen den Pfeilern, die den Aposteln Petrus und Paulus gewidmet sind.
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Natürlich gibt es hunderte Dinge, die wert wären, erwähnt zu werden. Die Weihwasserbecken sind nicht rund, wie in den meisten Kirchen, sondern in Muschelform, um nur ein Beispiel zu geben. Genauso könnte man auf die großartige Symbolik eingehen - so haben die Apostel Säulen zugeteilt bekommen, mit dem Symbol eines jeden auf eine Glasplatte gemalt, die die Lampe verdeckt, die an der ersten Verästelung der Säulen angebracht ist. Aber wollte man alles beschreiben, dann würde auch ein Buch allein nicht genug sein.
Jetzt verlassen wir dieses sagenhafte Monument durch das westliche Tor und bekommen dadurch einen Blick auf die Passionsfassade. Sie beschreibt das Leiden Christi und seinen Tod am Kreuz. Der Bildhauer Josep M Subirachs hat gute hundert Statuen erschaffen, die rund um das Tor den Leidensweg zeigen, angefangen vom verräterischen Kuss des Judas, über die Leugnung Petri, der Verurteilung durch Pontius Pilatus, mit dem Weg hinauf auf den Berg Golgata und Veronicas Schweißtuch, bis zum gekreuzigten Christus.
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Diese Kirche steht nicht nur für Religion, sie ist in höchstem Grad sowohl lebende Kultur als auch Kulturgeschichte - und deshalb geht sie uns alle an.
Links vom Tor führt ein Abgang zu einem Museum, wo man mehr über Gaudí und sein Werk erfahren kann. Außerdem sieht man mit Hilfe von Bildern, wie die Kirche durch Jahrzehnte hindurch weitergebaut wurde. An Letzteres werde ich erinnert, wenn ich zur Kuppel auf der anderen Seite des Portals hinaufschaue. Man muss sehr genau hinsehen, aber fast ganz oben steht ein Arbeiter, der damit beschäftigt ist, das Werk zu vollenden. Das gibt noch einen Denkanstoß, nämlich an all die menschlichen Leistungen, die benötigt werden und wurden, um diese Bauten zu errichten. Sicher, die Architekten, die diese Schöpfungen erträumt haben und die Bildhauer, die sie ausschmückten, sind alle Ehre wert. Aber letztendlich sind es doch Arbeiter und Handwerker, die mit ihren Händen - und oft mit dem Leben als Einsatz - all dies erbaut haben. Auch ihnen sollten wir dafür ein wenig Dankbarkeit zukommen lassen.
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Copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2016
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