SCHLOSS CHAMBORD


François d'Angoulême oder Franz I wurde schon in jungen Jahren König von Frankreich, als mit seinem Onkel, Ludwig XII, die Linie der Valois-Orléans ausstarb. Als begeisteter Jäger kam Franz I oft nach Chambord, wo schon seit dem 12. Jahrhundert ein "befestigter Turm" stand, der zunächst den Grafen von Blois und später den Herzögen von Orléans als Stützpunkt bei der Jagd gedient hatte. Das gesamte zum Schloss gehörende Gelände umfasst nicht weniger als 5440 Hektar, ein Gebiet, das etwa so groß ist wie die Innenstadt von Paris. Auch in unseren Tagen gibt es dort noch frei lebendes Wild.

Die Wege des Jagdgeländes erstrecken sich kilometerweit in alle Richtungen. Der Eingang zum Schloss liegt gegen Süden, in Richtung Italien.
Durch sein Interesse für Italien gelang es Franz nicht nur, Leonardo da Vinci nach Frankreich zu holen, sondern auch die Gedanken der Renaissance nach Frankreich mitzubringen. Das lässt sich leicht an Schloss Chambord feststellen, zum Beispiel hier an dem Turm des Innenhofes.
Die Wendeltreppe allein ist eine Sehenswürdigkeit. Sie führt als Doppelspirale nach oben.
Das heißt, dass zwei Menschen hinaufgehen können, ohne auf einander zu treffen. Sie werden einander jedoch durch die Öffnungen in der Mittelachse sehen, falls sie das gleiche Tempo halten und sie werden dann auch gleichzeitig oben ankommen. Es wird gesagt, dass diese Treppe auf den Einfluss von Leonardo da Vinci zurückzuführen sei. Erlebt hat er sie aber nicht mehr, denn er starb im nahen Amboise ein paar Monate vor Baubeginn.

Der Bau des Schlosses, der 1519 begonnen wurde, kam jedoch im Jahr 1525 abrupt zu einem vorläufigen Ende. Franz I hatte bald nach seiner Krönung Mailand zurückerobert und dadurch die Feindschaft mit den Habsburgern verschärft. Die Rivalität zwischen den beiden führenden Köpfen Europas hatte schon bei der Kandidatur um die Krone Spaniens begonnen, die Karl V gewann. In der Schlacht von Pavia, die am 23. Februar 1525 begann, wurde das französische Heer nahezu völlig aufgerieben, der König gefangen genommen und nach Madrid gebracht. Um wieder freigelassen zu werden, musste Franz I im Jahr darauf den Frieden von Madrid unterzeichnen, der ihn außer diversen Ländern auch 2 Millionen Goldtaler kostete. Natürlich wurden zunächst alle Staatsausgaben für neue Gebäude gestrichen. Das Schloss wurde erst von seinem Sohn, Heinrich II, sowie später von dem Sonnenkönig, Ludwig XIV, vollendet.

Als Franz I im Jahr 1547 starb, waren erst der Donjon (der Hauptturm) und der Königsflügel fertig gebaut. König Franz hatte zu dieser Zeit ganze 72 Tage in seinem neuen Schloss zugebracht.

Ob Franz mit dem Aussehen des fertigen Schlosses zufrieden gewesen wäre, weiß ich nicht. Aber ohne Zweifel sieht es aus, als wäre es direkt aus einem Märchen genommen.
Jedenfalls erwecken all diese Türmchen schon die Neugierde des Besuchers, wenn er sie vom Parkplatz aus sieht.
Chambord wurde also als Jagdschloss gebaut. "Nutrisco et extinguo" war schließlich ein Wahlspruch von Franz I, was auf Deutsch etwa bedeutet: "Ich ernähre mich (von ihnen) und ich erlege sie." Damit ist natürlich das Wildbret gemeint. Auch heute betont man noch die Jagd - das ganze 2. Stockwerk ist mit Trophäensammlungen und sonstiger Jagdanknüpfung bestückt. Was jedoch Trophäen aus Italien und Österreich aus der Mitte des 20. Jhd. mit dem Schloss zu tun haben, ist mir nicht ganz klar geworden. Ebensowenig wie die lokale Werbung für Chambord und Produkte, die dort erzeugt werden oder erzeugt worden sind, gehören sie hierher. Auch dies ist im 2. und 3. Stockwerk untergebracht. Doch genug des Jammerns, das Schloss ist viel zu imponierend, als um sich bei Nebensächlichkeiten aufzuhalten.

Insgesamt gibt es 426 Räume im Schloss, die über 77 Treppen erreicht werden können und von 282 Kaminen beheizt werden. Mehr als 90 Zimmer können besichtigt werden. Die Besichtigung der Räume zeigt die üblichen Gegenstände, wie Malereien, große Wandteppiche mit historischen oder mythologischen Themen, königliche Betten, Kristalllüster, Uhren, Schränke, Stühle, Kommoden, aber auch die Insignien des Grafen von Chambord, dem letzten Besitzer aus dem Haus der Bourbonen. Dieser Mann, der mit seinem vollen Namen Henri-Charles-Ferdinand-Marie-Dieudonné de Bourbon-Artois hieß, wurde bei seiner Geburt als Gottesgeschenk angesehen.
Ein Wandteppich, der die Begegnung von Hannibal mit Scipio zeigt. Ersterer ist mit seinen Kriegselefanten von Karthago über die Alpen gezogen.
Er wurde nämlich erst nach der Ermordung seines Vaters geboren und sicherte damit den legitimen Fortbestand der Dynastie. Der Ministerrat wollte ihm das Schloss Chambord kaufen, aber dieser Plan wurde von der öffentlichen Meinung vereitelt. Daher beschloss ein "Verein der Legitimisten" (also bourbonenfreundlich und monarchistisch gesinnt), das Schloss via Spenden zu kaufen und dem kleinen Grafen als Taufgeschenk zu überlassen.
Als Karl X, sein Großvater, wie auch der Herzog von Angoulême (der Ludwig XIX geworden wäre) nach der Julirevolution von 1830 zugunsten von Henri abdankten, wurde der Zehnjährige als Heinrich V König. Allerdings musste er, so wie der Großvater und der Onkel, ins Exil fliehen. Auch nach der Februarrevolution von 1848 und nach der Niederlage Frankreichs im Krieg gegen Preußen, versuchten die Legitimisten, den Grafen als König einzusetzen. Beim letzten Versuch scheiterten sie daran, dass der Graf selbst sich weigerte, die Trikolore statt der weißen Fahne des Königreiches zu akzeptieren und damit auf den Thron verzichtete.
Die Galakutschen, die man für den Einzug in Paris am Krönungstag bestellt hatte, wurden nie verwendet und können heute noch in funkelnagelneuem Zustand im Kutschensaal des Schlosses bewundert werden. Henri de Bourbon-Artois starb 1883 auf Schloss Frohsdorf in Österreich.

Vor dem Grafen von Chambord gab es aber schon andere illustre Bewohner des Schlosses. Nach Franz I kam sein Sohn Heinrich II auf Besuch, meist zu Jagdausflügen, aber er nahm dabei oft die ganze Familie mit. Ludwig XIV kam in den Jahren 1668 bis 1685 neunmal hierher um zu jagen. Bei zwei von diesen Gelegenheiten gab es auch geistige Unterhaltung, nämlich in der Form von Erstaufführungen von Molières Theaterstücken.
Der nächste Gast stammte aus Polen. Es war der Schwiegervater von Ludwig XV, Stanislas Leszynski, der in seiner Heimat entthront wurde und hier im Exil lebte.

Dieser Mann war aber mit dem Zustand des Schlosses überhaupt nicht zufrieden und wetterte bei jeder Gelegenheit über die ungesunden, feuchten Räume.

Von 1746 an lebte Marschall Moritz von Sachsen hier, bis er 1750 einen mysteriösen Tod erlitt. In der Zwischenzeit aber verprasste er sein Geld mit wilden Festen und verlebte seine Tage mit seiner Liebschaft, der Schauspielerin Adrienne Lecouvreur.

1930 kaufte der französische Staat das Schloss.



© Bernhard Kauntz, Wolvertem 2008




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last update: 6.5.2008 by webmaster@werbeka.com