Gedanken beim Besuch im
SPIELZEUGMUSEUM IN SCHLOSS TIDÖ


Der 17. Juni 1974 ist für alle Spielzeugfreunde ein historisches Datum. Da wurde Schwedens erstes Spielzeugmuseum von Seiner Majestät König Carl XVI Gustaf in Schloß Tidö eröffnet
Eine solche Patenschaft verpflichtet natürlich, daher gibt es heute allerlei Spielsachen des kleinen Carl Gustafs zu beschauen, von Zinnsoldaten bis zum hochköniglichen Teddybären. Hier auf dem Bild ist er mit einer elektrischen Eisenbahn beschäftigt, die Reiter im Vordergrund sind ein Geschenk an ihn aus England.
Aber wenn jemand glaubt, daß hier nur das Spielzeug von Kindern reicher Leute gezeigt wird, der liegt weit daneben. Ein wichtiger Teil der Ausstellung besteht aus Papiermodellen von diversem Spielzeug, die von dem Wochenmagazin Allers jahrzehntelang bereitgestellt wurden und die dann zusammengebastelt wurden. Da gibt es
Modelle von Autos, Puppen, neuen Erfindungen, berühmten Gebäuden und weiß Gott was nicht noch alles. Auch Schloß Tidö konnte zusammengeleimt werden, wie das Bild rechts zeigt. Und eine Allers-Zeitung kostete damals 25 Öre, einen durchaus erschwinglichen Betrag - auch das geht aus der Ausstellung hervor.

Es ist recht interessant eine Weile beim Eingang des Museums zu stehen und den Gesprächen zuzuhören, die dort geführt werden. Viele Besucher bestehen natürlicherweise aus Familien mit Kindern. Letztere stehen mit erwartungsvollen, leuchtenden Augen da, während vielen Vätern offensichtlich weniger wohl zumute ist.
"Naja, also geh du mit ihnen hinein", sagt er zu der Mutter, "ich warte hier einstweilen."
"Ach geh, du kannst doch auch mitkommen", versucht sie ihn zu überreden.
"Nein, nein. Geht nur ruhig", wehrt er sich wieder.
Es ist eigentlich komisch, daß so viele Männer eine so große Distanz zu ihrer eigenen Kindheit haben und anscheinend Angst haben, einen Teil ihrer Männlichkeit zu verlieren, sollte man sie dabei erwischen, wenn sie sich Spielzeug ansehen. Ich gestehe gern, daß auch meine

Erwartungen nicht allzu hochgeschraubt waren, als ich durch den Eingang ging. Es dauerte aber nur 10 Minuten bevor ich "Lumpi" fand, meine allererste Sparbüchse, die ich in den 50er-Jahren mit meinen Groschen gefüttert hatte. Sie jetzt wiederzufinden, sich plötzlich an das Gefühl zu erinnern, wie es war, wenn man links den kleinen Eisenhebel drückte, der die Zunge des Hundes zusammen mit dem Geldstück im Inneren verschwinden ließ, das machte mich einen Augenblick lang schwach in den Knien.

Mein nächster Eindruck war der internationale Aspekt. Viele der Spielsachen sind abgegriffen und wohlgebraucht - ein sicheres Zeichen dafür, daß sie von ihren kleinen Besitzern geschätzt worden sind. Diese wiederum waren über die ganze Welt verteilt, es gibt Spielzeug aus Deutschland, aus Japan, aus Amerika und Rußland. Aber wo

immer man auch wohnen mochte, man spielte mit den gleichen Dingen, glücklich unbewußt aller Nationalgefühle, Grenzen, Rassismus, oder der anderen Hindernisse, die wir Erwachsenen zwischen uns aufstellen.
Während zwei Mädchen mit je einem dieser Herde das gleiche Spiel spielten, versuchten damals ihre Väter einander totzuschlagen. Es ist schon schade, daß Männer nicht öfter in ein Spielzeugmuseum gehen....

Es ist recht interessant zu sehen, wie man sich zu allen Zeiten bemühte, bei der Herstellung des Spielzeugs die Wirklichkeit so naturgetreu wie nur möglich nachzuahmen, ganz unbesehen, ob es nun um ein

Modell einer Straßenbahn geht, oder dem eines Puppenhäuschens, mit allen kleinen Finessen, die ein Heim aus dieser Zeit aufweisen konnte. Nicht zuletzt imponieren die kleinen Puppenservice mit dem kleinsten Detail auf Porzellan gemalt. Die Gegenstände auf dem Foto könnten genau so gern ein Service für Erwachsene darstellen, so lange man keine Referenz hat, um die Größe beurteilen zu können.
Um so stärker ist deshalb der Eindruck, diese Miniaturen, nicht mehr als ein paar Zentimeter groß, in Wirklichkeit zu sehen. Das Zinnservice könnte doch - in natürlicher Größe - jede Tafel zieren, nicht wahr? Als ich allerdings die Kaffeetassen aus Silber zu Gesicht bekam, wurde es mir zuviel, da rührte sich wieder mein soziales Bewußtsein. War es denn wirklich nötig, seine Ressourcen für ein derartig teures Spielzeug zu verschwenden, wären sie nicht besser auf einen mehr humanitären Zweck angelegt gewesen? Sicher, es schaut goldig aus, und alle Eltern mögen ihren Kinder und wollen ihr Bestes, aber gibt man dadurch nicht auch den Kindern falsche Signale?
Mir scheint es dem Onkel Dagobert in seinem Tresor sehr ähnlich zu sein. Denn ich kann nicht umhin, die Bilder vor mir zu sehen, die schwedische Verfasser wie Vilhelm Moberg oder Ivar Lo-Johansson gezeichnet haben, in ihren Beschreibungen der Gesellschaft dieser Zeit - doch fernab von Silbertassen, sondern die armselige Wirklichkeit der Taglöhnerfamilien. Und zu diesen Bildern glitzert das Silberspielzeug wie blanker Hohn.

Der Vorteil, sich in einem Spielzeugmuseum zu befinden, ist der, daß eventuelle düstere Gedanken recht schnell wieder vertrieben werden - von der versammelten Fröhlichkeit, die es da gibt.

Die Mannigfaltigkeit der Eindrücke läßt einen schnell wieder auf ganz andere Gedanken kommen, man wird zum Beispiel von dem zeitlosen Aspekt gefangengenommen, den ein Teil der Spielsachen vermittelt. Die Puppen sind ein typisches Beispiel dafür. Und es gibt ihrer viele, von vielen verschiedenen Epochen und geografischen Gebieten. Irgendwie schmilzt der Abstand zu früheren Generationen, wenn man daran denkt, daß kleine Mädchen zu allen Zeiten mit Puppen gespielt haben. Ich fühle mich meinen Ahnen viel näher, weil sie ja plötzlich gar nicht so anders sind, wenigstens als Kinder vergnügten sie sich auf die gleiche Art und da mußten sie logsicherweise auch dieselben Gefühle dabei gehabt haben, wie wir selbst. Wohl waren ihre Puppenmodelle einfacher, sowohl das Material wie auch die Form betreffend, aber das verändert ja nichts an der Symbolik. Oder nehmen wir die Bausteine. Hier gilt die Unveränderlichkeit genauso. Bausteine hat es wohl auch immer in irgendeiner Form gegeben, und malte man sie außerdem an, sodaß man sie als Puzzle legen konnte,
erbot das den Kindern noch eine extra Stimulanz.

Mein nächster Gedanke ist diametral verschieden. Hier ist es nicht die Zeitlosigkeit, die ich erlebe, sondern die kulturgeschichtliche Entwicklung. Einen großen Eindruck macht der Filmprojektor, der mit einer Petroleumlampe als Lichtquelle betrieben wurde. Natürlich ist der Zelluloidstreifen mit den Bildern schon vergilbt und zerknittert, aber seine Aufgabe wird nach wie vor deutlich. Und ich fühle mich sowohl erstaunt wie auch dankbar. Erstaunt, daß man wirklich einen Projektor mit einem so flackernden Licht betreiben konnte, und dankbar dem Erlebnis an sich, wieder etwas Neues gesehen zu haben, das außerdem noch zeigt welch einfache Technik man vor 100 Jahren noch verwendete - aber wäre sie nicht erprobt worden, hätten wir heute kaum unsere selbstverständlichen Gegenstände wie Fernseher, Telefon und Computer. Ich frage mich ob wir im Zeitaspekt heute mit genauso einfachen Techniken herumwerken, wenn es zum Beispiel das Internet betrifft. Wie wird dieses Kommunikationsmittel in 100 Jahren aussehen?

Wie dem auch sei, es ist ein kulturgeschichtliches Erlebnis von großen Ausmaßen. Nehmen wir doch nur den Kolonialwarenladen auf dem Bild als Beispiel. Seine Totalhöhe beträgt zwischen 30 und 40 cm! Ich bin teils von der Präzesion der Details fasziniert, teils von dem Spielzeug an sich. Welchen Wert muß es doch für alle die haben, die zu jung sind um selbst noch einen Kolonialwarenladen gesehen zu haben!

Es gibt, wie schon gesagt, viele, viele Spielsachen hier zu sehen - und es ist vollkommen unmöglich, alles, was es hier bei einem Besuch zu sehen und zu erleben gibt, auch zu beschreiben. Ich habe hier nur einen Teil der Gedanken niedergeschrieben, von all denen, die auf mich im Museum eingedrungen sind, vielleicht die, die ich selbst für die wichtigsten halte. Der Besuch kostete mich ungefähr so viel Zeit und Geld wie einen Videofilm auszuleihen und zu sehen, der Nachgeschmak deklassiert jeden Durchschnittsvideo um ein Vielfaches....

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås, Juli 1996

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