SAGENHAFTES WIENDAS GNADENBILD IN DER PFARRKIRCHE HIETZING"Kruzitürken", fluchte einer der vier Männer, die mit dicken Stricken gefesselt und an den dicken Eichenstamm angebunden waren, "ich kriege diese verdammten Schnüre nicht auf!" "Sei doch ruhig, Franz", ermahnte ihn einer seiner Leidensgenossen, "denk daran, dass die Muttergottes oben im Baum sitzt." Man schrieb das Jahr 1529 und die Heere des Sultan Soleiman rückten gegen die Stadt Wien vor. Man kam in unüberschaubaren Scharen von Osten und Süden herangerückt, schlug jeden Widerstand nieder, nahm die Wehrlosen gefangen und brannte nieder, was im Weg stand, vornehmlich aber die Kirchen, die Moscheen der Ungläubigen. Die Religion war immer schon ein gutes Mittel gewesen, um Menschen gegeneinander zu hetzen und die Soldaten zum Krieg zu motivieren. Auch in Hietzing, im Südwesten von Wien, wusste man von den heranstürmenden Türken, und jeder trachtete danach, alles, was nur möglich war, in Sicherheit zu bringen, vor allen Dingen aber sich selbst. Der Mesner der Pfarrkirche zu Hietzing war ein rechtschaffener und gottgläubiger Mann, der wusste, dass auch seine Kirche den Barbaren zum Opfer fallen würde. Er selbst hatte weder Familie, noch größere, weltliche Güter, daher richtete sich sein hauptsächliches Augenmerk auf die Schätze der Kirche, für die er sich nun allein verantwortlich fühlte, seitdem der Pfarrer schon vor Tagen das Weite gesucht hatte. Der Mesner tat, was er konnte. Das Kirchensilber war schon vergraben, andere kleine Dinge, die er selbst tragen konnte, schon so gut versteckt, wie es nur ging. Nur das Marienbildnis, vor dem er in manchen schweren Stunden andächtig gebetet hatte, konnte er allein nicht wegschaffen. Dazu würde es wohl vier Männer brauchen. Es war nicht leicht gewesen, drei andere zu finden, die helfen wollten, die Statue aus der Kirche wegzutragen, weil jeder mit sich selbst und seinen eigenen Nöten beschäftigt war. Endlich aber überredete er Franz, den Dorfschmied, den er allein schon wegen dessen Kraft dabeihaben wollte, auch wenn der Schmied nicht gerade zu den fleißigsten Kirchengängern zählte und auch wenn seine Sprache nicht immer die eines guten Christen war. Außerdem hatte er noch zwei Jungbauern, den Sepp und den Hansl, für die Sache gewinnen können. Die beiden hatten sich gestern noch bemüht, so viel wie möglich von der Ernte einzufahren, weil sie immer noch an ein Wunder glaubten. Heute Morgen jedoch, als der Gefechtslärm plötzlich viel lauter war und ein wahrer Strom von Flüchtlingen erzählte, dass Mödling verloren war und auch Schwechat nur mehr höchstens ein paar Stunden Stand halten konnte, sahen auch die größten Optimisten ein, dass kein Wunder geschehen würde. Die vier hatten also das Bildnis der Muttergottes aus der Kirche geholt und aus dem Ort getragen, bis sie einen Baum mit einer dichten Krone gefunden hatten. Der Mesner hatte ein starkes Seil mitgenommen, mit dessen Hilfe er und der Schmied dann die Marienstatue in den Baum hinaufzogen, bis sie von unten nicht mehr zu sehen war. Oben im Baum saßen Sepp und Hans, die dann das Standbild mit festen Stricken an die Äste des Baumes banden, bis sie sicher waren, dass auch der ärgste Windstoß der Heiligen Jungfrau nichts anhaben konnte. Jedoch hatten sie kaum ihre Arbeit beendet, als ein erschreckter Ausruf des Schmieds sie erschauern ließ: "Jessasmarantjosef! Da kommen die Türken schon!" Und wirklich kam ein Vortrupp der Feinde schon auf Reittieren herangeprescht. Die beiden Jungbauern hüpften von den untersten Ästen auf die Erde nieder und versuchten, den Mesner und den Schmied einzuholen - aber es war schon zu spät. Vier der Muselmanen hatten sie bereits eingeholt, bevor sie noch ein paar Schritte gemacht hatten. Und gegen die erhobenen Musketen der Orientalen gab es kein Argument. Der Rest des Vortrupps hatte ein paar Minuten später auch die beiden anderen gestellt und zu der großen Eiche zurückgetrieben. Hier wurden nun die vier Männer nach allen Regeln der Kunst gefesselt und verschnürt und zuletzt auch noch am Stamm des Baumes festgebunden. Nach vollbrachter Tat saßen die Türken wieder auf und ritten in Richtung Ort davon. Mochte die nachkommende Haupttruppe sich um die Gefangenen kümmern. Deshalb hatte Franz eben geflucht und war von einem seiner Kameraden, natürlich dem Mesner, verwarnt worden. "Ja, ja", knurrte der Schmied nun als Antwort. "Das haben wir jetzt davon, dass wir ein steinernes Abbild in Sicherheit bringen mussten. Die Statue hätten sie nicht umbringen können, mit uns können sie das schon tun!" Die beschwichtigenden Worte des Mesners verhallten, ohne Eindruck zu machen, denn Franz haderte weiter: "Wenn wir schon Deine Muttergottes gerettet haben, dann könnte sie uns jetzt auch helfen!" Der Mesner hatte schon eine scharfe Antwort auf der Zunge, um dem Frevler das Wort zu verbieten, als der Schmied plötzlich aufjubelte: "Sie hat es getan! Sie hat es wirklich getan! Ich bin frei!" Schnell streifte er die jetzt losen Stricke über die Handgelenke und machte sich in aller Eile daran, erst sich selbst von den Fußfesseln und dann seine Kameraden zu befreien, während sie vom Baum herab eine glockengleiche Stimme hörten, die ihnen zurief, in welcher Richtung sie jetzt fliehen sollten.
Wenn man heute den Hochaltar der Hietzinger Pfarrkirche betrachtet, dann sieht man dort unter dem Marienbild unsere vier Helden, die als Dank für die Rettung die Hände zu der Jungfrau emporstrecken.
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