Die U-Bahn in Wien
Mitte der Fünfzigerjahre fuhr ich als Achtjähriger mit der U-Bahnlinie WD in nur 13 Minuten von Heiligenstadt zum Hauptzollamt (heute Landstraße) in die Schule - und am Nachmittag wieder zurück.
Aber halt! Da stimmt etwas nicht! Die erste U-Bahnlinie in Wien wurde doch erst 1976 eröffnet? Andererseits - so spät? Ist Wien so rückständig?
Durchaus nicht. Man hatte nämlich seit 1898, damals nach London, Budapest (das ja auch ein Teil der Doppelmonachie war) und Glasgow als vierte Stadt der Welt eine innerstädtische Schnellverbindung, die Stadtbahn, die in jedem einzelnen Detail der von London gleichzusetzen war. Von Rückständigkeit also keine Spur, dagegen von kultureller Vormacht. Denn architektonisch wurde die Stadtbahn von keinem Geringeren als Otto Wagner konzipiert. Aber eins nach dem anderen, oder vielleicht besser "vor dem anderen".
Heute sieht das U-Bahnnetz wie auf folgendem Plan aus, wobei die Verlängerung der Strecke der U2 vom Schottenring über den Praterstern zum Ernst-Happel-Stadion bis zur Eröffnung der Fußball-EM 2008 fertiggestellt wurde und später noch bis in den 22. Bezirk weitergeführt wurde.
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Geschichtsverfälschung?
Diese Gedenktafel hängt heute in der Station Alser Straße, wobei die Eröffnung der Stadtbahn aber in der Nachbarstation Michelbeuern stattfand.
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Die blauen S-förmigen Zeichen am Plan gehören nicht zur U-Bahn, sondern bezeichnen verschiedene Schnellbahnlinien, die heute noch von den Österreichischen Bundesbahnen geführt werden, im innerstädtischen Bereich aber mit jeder gültigen Fahrkarte benutzt werden dürfen.
Die gesamte Strecke der heutigen U4 (grün), beziehungsweise die Strecke der U6 (dunkelbraun) von der Längenfeldgasse bis zur Nussdorfer Straße waren schon 1901 in Betrieb und bildeten eine pulsierende Lebensader im Großstadtverkehr.
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Dass die "Silberpfeile" der heutigen Generation kreuz und quer durch die Stadt führen, ist selbstverständlich, wie auch, dass man mit höchstens zweimaligem Umsteigen in jeden entlegenen Winkel der Stadt kommen kann. Darüber hinaus sind die Intervalle zwischen den einzelnen Zügen so kurz, dass viele andere Großstädte davon nur träumen können. Dadurch verzögert auch ein Umsteigen die Fahrtdauer kaum. Es ist sicher auch nicht gewöhnlich, dass Fahrräder in einer U-Bahn transportiert werden dürfen, aber - Wien ist anders - hier darf man.
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Nur 3 Minuten zwischen Zügen der gleichen Linie. Und das nicht einmal zur Hauptverkehrszeit...
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Doch jetzt zurück zu Otto Wagner. Er wurde mit der Ausgestaltung aller Anlagen der Stadtbahn beauftragt. Nicht alle Bahnhofsgebäude sahen so prunkvoll aus, wie das restaurierte, heute aber funktionslose, am Karlsplatz. Viele der alten Gebäude stehen noch immer und erinnern an die Ursprungszeit. Bei modernen Stationen sieht man oft nur mehr ein blaues "U" neben einer Rolltreppe, die nach unten führt, während die älteren Haltestellen alle noch eigene Bahnhofsgebäude besaßen. Dies verwundert vielleicht weniger, wenn man bedenkt, dass die Stadtbahn anfangs von den k.k. Österreichischen Staatsbahnen betrieben wurde und daher auch von Dampflokomotiven gezogen wurde (ganz wie anfangs auch in London).
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Es sei auch erwähnt, dass außer dem Dreieck Gürtel - Wiental - Donaukanal ursprünglich auch noch die Vorortelinie, außerhalb des Gürtels, als Stadtbahn betrieben wurde. Das ist eine Strecke, die seit 1987 zum Großteil die der Schnellbahnlinie S45 ausmacht. Geschichtlich gesehen wurden ja im letzten Jahrzehnt des 19. Jhd. die Vororte an Wien angeschlossen, was nicht allerseits befürwortet wurde. Eine Stadtbahnlinie zwischen den einzelnen Vororten war sicher ein Argument, um die Eingemeindung in die Großstadt schmackhafter zu machen.
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Man merkt den Unterschied zwischen Alt und Neu sowohl an den Gebäuden, wie auch auf den Perrons der Stationen. Immerhin liegt fast ein ganzes Jahrhundert dazwischen. Links oben: Rossauer Lände - Rechts oben: Schwedenplatz - Links unten: Alser Straße - Rechts unten: Museumsquartier.
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Als die Stadtbahn 1925 von der Gemeinde Wien aufgekauft und elektrifiziert wurde, hatte man an der Vorortelinie kein Interesse, weshalb sie im Besitz der Bahn blieb. Damit war das "moderne Stadtbahndreieck" geboren, das bis in die Siebzigerjahre in Betrieb war.
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Die Linie G fuhr am Gürtel von Heiligenstadt bis zur Meidlinger Hauptstraße (und im Spitzenverkehr bis Hütteldorf). Die Linie WD fuhr entlang des Wientals und dann des Donaukanals, ebenfalls von Hütteldorf bis Heiligenstadt, während die beiden übrigen Linien von der Meidlinger Hauptstraße bis Hietzing in einem Kreisverkehr Gürtel, Donaukanal und das untere Wiental befuhren. Die Bezeichnung GD bzw. DG gab dabei an, in welcher Richtung der Kreis befahren wurde.
Ich erinnere mich noch relativ gut an diese alten Garnituren, die immerhin bis 1961 in Betrieb waren. Es ist ein etwas komisches Gefühl, zu wissen, dass ich mit ziemlicher Gewissheit vor 50 Jahren in diesen Wägen mitgefahen bin.
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Auch an diese Schilder kann ich mich erinnern. Das Schild links stammt noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Die auf dem rechten Bild wären heute wohl zu kostspielig, um sie von Graffiti vollspritzen zu lassen... |
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Ab 1954 wurden neue Garnituren gebaut und nach und nach in den Verkehr gebracht. Ab jetzt gab es eine Zentralbedienung der Türen. Damit war die Zeit des Nachlaufens und Aufspringens endgültig vorbei und die Unfallszahlen sanken drastisch. Man konnte bis zu drei Triebwagen in Serie kuppeln und daher mit Zügen bis zu neun Waggons fahren, wobei am Anfang und am Ende je ein Triebwagen fuhr, wie auch einer in der Mitte des Zuges. 1965 gab es dann noch eine technische Erneuerung, nämlich eine Totmanneinrichtung, die den Zug automatisch bremste, wenn der Fahrer nicht reagierte. Dadurch wurde der Beifahrer frei, der nun am Zugende mitfuhr und in den Stationen allein die Zugabfertigung vornahm.
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Das bedeutete, dass die stationären Bahnsteigabfertiger nicht mehr gebraucht wurden und man viel Personal einsparen konnte. 1980 konnte man dann schließlich auch den Zugbegleiter einsparen, da von nun an die Abfertigung vollautomatich geschah.
Aber schon vorher, ab 1976 hatte die heutige U-Bahn ihren ersten Auftritt. Die ersten Schritte geschahen auf der Strecke Heiligenstadt - Friedensbrücke. Dann wurde die alte WD-Strecke immer ein Stück erweitert, bis sie durch die U4 vollkommen ersetzt war. 1989 fuhr die allerletzte Stadtbahn, denn nun war auch die Gürtelstrecke zur U6 ausgebaut worden. Der Rest ging und geht noch immer schnell, jedes Jahr kommt ein neues Stück U-Bahn dazu, was dazu beiträgt, dass in Wien die Tradition beibehalten wird, eine Großstadt mit hervorragenden öffentlichen Verkehrsmitteln zu sein.
copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2007 - 2013
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