Wenn man am Roten Platz schwarz Geld wechselt



Es war Ende der Achtzigerjahre, in der Ära von Michail Gorbatschow, als wir eine Wochenendkonferenz in Moskau abhielten. Wir kamen schon am Freitagnachmittag an und hatten gegen vier Uhr ein spätes Mittagessen eingenommen. Nun verspürte ich keine Lust, in irgendeinem Hotelzimmer zu sitzen und mich bis am Abend mit Wodka volllaufen zu lassen, wie es die meisten Teilnehmer vorhatten, da die Konferenz erst am Samstag beginnen sollte.

Ich fragte also in die Runde, ob mich jemand auf einem Spaziergang durch die Stadt begleiten wolle. Von den etwa vierzig Teilnehmern waren es immerhin sechs meiner Kollegen, die mitmachten. Wir beschlossen, zunächst zum Roten Platz zu fahren.

Schon nach dem Einchecken im Hotel, im Aufzug, hatten die ersten von uns ein Angebot bekommen, schwarz zu wechseln. Für hundert Schwedenkronen wollte man achtundzwanzig Rubel bezahlen. Zur Sache gehört natürlich auch, dass der offizielle Kurs eins zu zehn war, also für hundert Kronen erhielt man zehn Rubel. Schwarz bekam man also fast das Dreifache.

Auch auf dem Weg zur U-Bahn wurden wir mehrmals auf Geld wechseln angesprochen, und ob wir nichts zu verkaufen hätten. Nach Sonnenbrillen wurde mehrmals gefragt und eine Kollegin bekam sogar ein Angebot, ihre Jeans an Ort und Stelle zu verkaufen. Das Mädchen schlug vor, dass sie in einem Hauseingang die Hosen tauschen könnten ...

Wir schlugen die Angebote dankend aus und kamen bald zu einer Station, wo wir um zehn Kopek eine Fahrkarte lösten. Auch zum offiziellen Kurs war das eine lächerliche Summe, sie entspricht etwa einem heutigen Geldwert von dreißig Cent. Um diesen Preis tat sich das ganze U-Bahnnetz Moskaus auf. Dass die dortige U-Bahn, also die Gestaltung der Stationen, an sich sehr sehenswert ist, das kam noch als Draufgabe.

Leider war es nicht allzu weit, schon nach einem kurzen Stückchen stiegen wir wieder aus und schlenderten den Hügel hinauf zum Roten Platz. Einige von uns hatten sich Zigaretten angeraucht, aber als wir das Pflaster am Roten Platz betreten wollten, kam eine Wache auf uns zu und meinte, da oben dürfe man nicht rauchen. Einigermaßen erstaunt fragten wir nach der Ursache, wir waren doch im Freien. Aber wir wurden belehrt, dass man nicht den ganzen Platz voller Zigarettenstummel haben wollte. Zwanzig Jahre später hat sich das bis zu uns herumgesprochen, wo man jetzt auf Bahnhöfen auch im Freien, wenn überhaupt, dann nur noch in "Raucherzonen" seinem Laster frönen darf.

Lenin bekamen wir nicht zu sehen, denn das Mausoleum sperrte um fünf und jetzt war es kurz danach. Trotzdem hinterließ der etwa fünfhundert Meter lange Platz einen bleibenden Eindruck. Wir hatten ihn schon überquert und wollten ihn bei der Basilius-Kathedrale gerade wieder verlassen, als zwei junge Männer auf mich zukamen und fragten, ob wir wechseln wollten.

Ich war noch immer nicht besonders interessiert, aber ich fragte sie dennoch nach dem Kurs.

"Dreißig", sagten sie.

Hm. Das waren ja auf jeden Fall zwei Rubel mehr, als im Hotel oder unten in der Stadt. Damit könnte man ja immerhin angeben ... Ich sagte also, dass ich meine Kollegen fragen würde. Bald standen wir im Kreis um die zwei Russen und wurden handelseinig. Ich wechselte - so gut es ging - unauffällig zweihundert Kronen. Bald jedoch fragte ich mich, warum ich so vorsichtig gewesen war, denn hier wurden ganz offen Brieftaschen gezückt und einer in unserer Gruppe fragte lauthals, ob ihm jemand einen Zehner leihen könne, damit er einen ganzen Hunderter zusammenbrachte.

Nach einer Weile war das Geschäft erledigt und wir beschlossen, jetzt nach einem Restaurant zu suchen, um mit "Schampanskoje" zu feiern. Als wir um die Ecke bogen, lachte uns auch schon ein Hotelrestaurant entgegen. Ich war den anderen ein paar Schritte voraus, als mich eine junge Dame ansprach. Ich hörte nicht, was sie sagte, sondern verstand nur "police station". Ich dachte, dass sie nach dem Weg fragte und schüttelte den Kopf. Daraufhin sagte sie nocheinmal:

"Can you follow me to the police station?"

Ich sagte bedauernd, dass ich keine Zeit hatte, weil wir eben in ein Restaurant gehen wollten. Inzwischen war auch ihr männlicher Begleiter dazugestoßen und sie zückte einen Ausweis. Langsam wurde uns klar, dass es keine Frage gewesen war, sie zur Polizei zu begleiten.

"Warum denn", fragte jemand von uns.

"Sie haben Geld gewechselt", behauptete sie.

Allgemeines Kopfschütteln folgte, aber ich hatte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen. Ich nehme an, dass es den anderen ebenso erging. Zwei aus unserer Gruppe hatten sich durch den Eingang ins Hotel gestohlen, während wir anderen brav der Polizistin folgten. Ihr Kollege bildete den Abschluss. Ich hatte mein Geld noch in der Manteltasche und versuchte verzweifelt, die Scheine zusammenzurollen und in einen Finger meines Handschuhs zu stopfen. Mit einer Hand ist das gar nicht so einfach. Außerdem war mir ziemlich klar, dass das auch nicht helfen würde.

Auf dem Weg stieß plötzlich einer meiner Kollegen mit der Kamera gegen einen Papierkorb, der dort aufgestellt war. Der Kamera war zum Glück nichts passiert, aber die Episode war dennoch nicht unwichtig, wie sich später herausstellen sollte.

Wir waren seitlich dem Hotel entlang gegangen und betraten jetzt das Gebäude durch einen Seiteneingang. Wessen Überraschung größer war, ist schwer zu sagen, aber dort im Treppenhaus standen die zwei, die sich eben verdrückt hatten. Sie waren durch das Restaurant gegangen und wollten hier abwarten, bis wieder reine Luft herrschte. Sie durften gleich mitkommen.

Später sollten wir erfahren, dass es in jedem Hotel eine Polizeistation gab, wenn man die kleine Kammer, in die wir jetzt geführt wurden, als solche bezeichnen kann. Zwei Polizeibeamte saßen hinter einem Schreibtisch, der ungefähr ein Drittel des Zimmerchens in Anspruch nahm. Vor diesem Ungetüm drängten wir sieben uns zusammen, flankiert von unseren beiden Begleitern.

Die junge Dame erklärte vermutlich den Sachverhalt, aber sie sprach Russisch, sodass wir kein Wort verstanden. Ich hatte zwar in der Schule ein halbes Jahr lang Russisch gelernt, aber wir waren damals nicht sehr viel weiter gekommen, als das cyrillische Alphabet zu lernen, sowie ein paar einfache Brocken. Außerdem war das schon zwei Jahrzehnte her. Und letztendlich waren meine Gedanken ganz anderswo, als dass ich mich darauf konzentrieren konnte, vielleicht ein paar Wörter zu verstehen.

Wir benutzten die Zeit, um uns flüsternd einzuschwören.

"Wir geben nichts zu", murmelte der Mann mit der Kamera und die anderen nickten. Ich wurde zum Wortführer ausersehen, weil meine Kollegen meinten, dass mein Englisch besser sei, als das ihre. Ganz begeistert war ich nicht von diesem Vorschlag, aber einer musste es ja auf sich nehmen.

"Ablenken", raunte mir eine Kollegin ins Ohr. "Erzähle ihnen von den Angeboten in der Stadt, dass sie sogar meine Hose kaufen wollten."

Die russische Unterhaltung war zu Ende. Jetzt wandte sich einer der Schreibtischhengste auf Englisch an uns. Auch er behauptete, dass wir Geld gewechselt hatten. Ich verneinte und erklärte, dass wir wohl gefragt worden waren, aber dass wir nichts gewechselt hätten.

"Sie brauchen keine Angst zu haben, es passiert Ihnen nichts", erklärte uns der Russe. Das konnten wir nun glauben, oder auch nicht. Es erschien sicherer, bei unserer Version zu bleiben. Also erzählte ich, dass wir überall angesprochen worden waren, dass wir, hätten wir schwarz wechseln wollen, das schon viel früher erledigt hätten und nicht erst, als wir quasi schon auf dem Heimweg waren.

Wir diskutierten noch eine Weile hin und her, aber die Positionen blieben unverändert. Schließlich ließ man uns gehen. Einfach so. Erleichtert gingen wir aus dem engen Raum hinaus und genossen das Hochgefühl, das uns durchströmte. Also keine Visitation, unsere Verneinungstaktik hatte gesiegt. Als wir das Gebäude verließen, sahen wir rechter Hand eine U-Bahnstation. Die Lust auf den Sekt war uns jetzt vergangen, nun wollten wir nur mehr nach Hause.

"Augenblick", meinte da unser Fotograf. "Wir müssen erst zurück zum Papierkorb."

Wir sahen ihn fragend an und er erklärte grinsend, dass er sich das Geld zurückholen wollte, das er im Vorbeigehen dort hineingeworfen hatte - deshalb war er ja mit der Kamera angestoßen.

Je weiter wir uns entfernten, desto ausgelassener wurden wir und in der U-Bahn lachten wir schon über unsere Schlauheit. Wir beschlossen, die Krimsektfeier am Abend in der Bar unseres eigenen Hotels nachzuholen. Klar, dass wir vorher allen erzählten, was uns passiert war, aber nicht zuletzt auch von dem guten Wechselkurs, den wir bekommen hatten.

Am Abend, in der Bar warteten weitere Überraschungen auf uns. Zuerst erfuhren wir, dass man dort nur mit Westwährungen zahlen konnte. Das war natürlich ein kleiner Dämpfer, aber nach den aufregenden Ereignissen des Tages tat es trotzdem recht gut, sich ein wenig zu entspannen. Vielleicht waren einige sogar zu sehr entspannt, denn eine Kollegin begann plötzlich zu winken und meinte:

"Schaut einmal, wer da ist."

Ich drehte mich um und sah am Tisch neben der Tür die zwei Polizisten sitzen, die uns auf der Straße aufgehalten hatten. Ich will nicht behaupten, dass ich sehr beunruhigt war, aber ich hielt es schon für ziemlich übertrieben, ihnen zuzuwinken ...

Beunruhigt waren wir erst ein paar Stunden später, da war es sicher schon nach Mitternacht. Unser Kameramann war auf die Toilette gegangen - aber nicht mehr zurückgekommen. Sein Freund - sie arbeiteten beide in unserer Nachbarabteilung - meinte, er würde nachsehen, ob er vielleicht schon auf sein Zimmer gegangen war. Er bat mich mitzukommen. Beim Ausgang bemerkte ich, dass auch die Polizisten schon die Bar verlassen hatten.

Im Zimmer rührte sich nichts, als wir klopften. Also gingen wir hinunter zur Portierloge, um uns zu erkundigen, ob man dort etwas über ihn wisse. Nein, man wusste nichts. Eine Kontrolle auf der Toilette ergab, dass sich dort auch niemand aufhielt. In der Bar hatte man ihn immer noch nicht gesehen. Wieder beim Portier, verlor mein Begleiter die Nerven. Ich kannte ihn als besonnenen und eher ruhigen Menschen - jetzt schrie er, hochrot im Gesicht, abwechselnd auf Schwedisch und Englisch, dass es doch nicht möglich sein könne, dass jemand im Hotel einfach verschwindet. Man möge sofort etwas unternehmen, um ihn zu suchen!

Der Portier griff zum Telefon und sprach ein paar Sätze auf Russisch. Dann sagte er zu uns:

"Jetzt ist er auf seinem Zimmer."

Wir liefen also wieder zum Aufzug und fanden ihn dann schluchzend auf seinem Bett liegen. Es dauerte eine Weile, bevor er sprechen konnte. In der Zwischenzeit hatten auch die anderen von der Bar genug bekommen. Immer mehr Leute standen um sein Bett herum.

"Sie haben vor der Toilette auf mich gewartet und mich auf die Wachstube geführt", erzählte er dann. "Es gibt auch hier im Hotel eine. Sie wollten ein Geständnis aus mir pressen. Aber ich habe nichts gesagt."

"Haben sie dich durchsucht", fragte sein Freund.

"Nein. Aber ich habe das Geld aufgegessen. Ich bat, auf die Toilette gehen zu dürfen. Dort wollte ich es wegspülen. Aber einer der Polizisten ging mit mir und ich durfte die Tür nicht zumachen. Da habe ich die drei Zehner in den Mund gestopft."

Am nächsten Morgen beim Frühstück relativierte er das Geschehene. Vielleicht schämte er sich ein wenig, dass er zusammengebrochen war.

"Eigentlich war es nicht so schlimm", sagte er. "Aber wenn man allein dort sitzt, das Licht in den Augen, drei Leute rundherum, die auf Dich einreden ... Außerdem ist mein Englisch nicht allzu gut und ihres war es auch nicht ... Man sieht sich schon in Sibirien als Zwangsarbeiter ... Sie behaupteten zwar wieder, dass sie uns nichts tun würden, sondern dass sie ein Geständnis brauchten, um die zwei jungen Burschen festzunageln ... Aber das Schlimmste war, ganz allein zu sein."

Wir beschlossen noch beim Frühstückstisch, dass wir es in Zukunft nicht zulassen würden, dass einer von uns allein verhört wurde. Danach holten wir unsere Unterlagen vom Zimmer und wollten uns vor dem Hotel treffen, wo uns ein Bus zum Konferenzlokal bringen sollte. Beim Ausgang standen allerdings unsere zwei Polizisten und winkten mit sicherem Blick uns sieben zur Seite. Wieder ging es auf eine Wachstube, auf die, die in unserem Hotel untergebracht war. Diese war ein bisschen größer, als die von gestern. Vom Vorzimmer aus gingen noch weitere zwei Türen weg. Dort standen auch sieben Stühle und wir wurden aufgefordert, uns zu setzen.

Man erklärte jetzt ebenfalls, dass man unser Geständnis brauchte, um die beiden Russen überführen zu können, aber dass uns nichts geschehen würde. Ich übersetzte und wir diskutierten kurz auf Schwedisch. Ein paar von uns waren halb geneigt, zuzugeben, dass wir gewechselt hatten, damit die Geschichte endlich zu Ende kam. Aber dann sagte jemand:

"Auch wenn es so sein sollte, dass sie uns nichts tun, würden wir doch die zwei Männer ausliefern. Wollen wir das?"

Wir wollten nicht. Also verneinten wir wieder.

"Wir haben ein Foto", sagte die Polizistin.

Hm. Betroffenes Schweigen zuerst. Dann meinte jemand, dass das auch gelogen sein könne. Wenn sie ein Foto hätten, hätten sie es schon früher gesagt. Ich bekam den Auftrag, zu verlangen, dass sie uns das Foto zeigten. Ich schluckte einmal kräftig, denn ich war es ja, der diese nahezu unverschämte Frage stellen sollte. Ich überlegte, ob wir im Westen auch so mit der Polizei verhandeln könnten, dann:

"Können wir das Foto sehen?"

Sie zeigten es uns. Es war aus ziemlicher Entfernung aufgenommen und nicht allzu scharf, aber wir standen dort im Kreis um die beiden Geldwechsler. Mit ein bisschen gutem Willen sah man auch ein paar Brieftaschen, aber vor allen Dingen sah man meine Kollegin, wie sie die Hand ausstreckte, um einem der Männer etwas zu geben.

Nun hatte auch ich genug und wandte mich an die anderen:

"Jetzt hat es wohl keinen Sinn mehr, weiter zu leugnen, oder?"

Das Foto hatte den Ausschlag gegeben. Jetzt noch abzustreiten, dass wir schwarz gewechselt hatten, wäre nur dumm gewesen. Das sahen alle ein. Ich zuckte also mit den Schultern, nickte und gab zu, dass wir gewechselt hatten.

Auch die Polizistin nickte und sagte zu mir:

"Gut, dann kommen Sie mit mir."

Ich erhob mich zögernd, wohl bedacht unseres Versprechens, niemand mehr allein weggehen zu lassen, aber die anderen rührten sich nicht. So langsam war ich noch nie im Leben aufgestanden, aber schließlich kann man sich ja nicht stundenlang von einem Stuhl erheben ... Ich sah meine Kollegen an, doch sie schauten weg. Ich zuckte wieder mit den Schultern, dann folgte ich der Polizistin, in das hintere der beiden Zimmer, die man vom Vorzimmer aus betreten konnte. Ich will nicht behaupten, dass meine Knie auf diesem kurzen Weg besonders stabil waren, aber was sollte ich tun? Ich konnte nur versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.

Wir kamen in ein relativ großes und helles Zimmer, aber vielleicht kam mir das nur so vor, denn im Vorzimmer hatte es keine Fenster gegeben. Ein Schreibtisch, um den ich herumgehen musste, stand an der linken Wand. Dahinter saßen zwei Männer, einer mit Schreibutensilien vor sich, der andere, besser gekleidet, bat mich Platz zu nehmen. Neben der Tür saß noch ein Mann. Die Polizistin sprach ein paar Sätze auf Russisch, dann ging sie wieder hinaus.

"Sie haben also auf der Straße Geld gewechselt", sagte der elegante Mann in nahezu akzentfreiem Englisch.

Ich nickte.

"Wussten Sie denn nicht, dass man das in Russland nicht tun darf?"

Natürlich wusste ich es, wie jedes kleine Kind im Westen das weiß, aber ich veneinte.

"Komisch", sagte er. "Wenn wir Leute ins Ausland schicken, dann bekommen sie eine Liste mit Dingen, die man dort nicht tun darf."

Ich machte eine hilflose Geste mit den Händen, um anzudeuten, dass es ja nicht an mir lag, dass ich nicht informiert worden war. Jetzt erklärte er mir, dass uns nichts geschehen würde, weil sie konnten ja nicht jemand bestrafen, der nicht wusste, dass das, was er tat, falsch war. Aber die beiden Russen wussten sehr wohl, dass es falsch war, was sie getan hatten - und deshalb mussten sie auch bestraft werden.

Mir fiel ein halber Stein vom Herzen, denn jetzt begann ich, daran zu glauben. Aber meine Grundeinstellung war immer noch negativ, wie es eben Behörden gegenüber ist, die jemand zwingen, etwas zu tun, was man eigentlich nicht machen will. Deshalb ist wohl das Finanzamt auf der ganzen Welt so unbeliebt ... Dann begann das Verhör.

"Wie ist Ihr Name?"

"Bernhard Kauntz"

Fragezeichen. Ich kramte meinen Pass hervor und schlug ihn auf, damit der Protokollführer abschreiben konnte.

"Ihre Adresse?"

Ich grinste innerlich, dann sagte ich schnell:

"Välljärnsgatan 486"

"Bitte?"

"Välljärnsgatan 486"

Hilfeheischend sah der Schreiber den Verhörsleiter an. Kurze Pause. Dann bat ich um ein Blatt Papier. Sie gaben es mir und ich schrieb mit ungelenken Blockbuchstaben den Straßennamen mit cyrillischen Buchstaben auf. Der Effekt war erstaunlich.

"Ach, Sie können Russisch", lächelte mich mein Gegenüber an.

"Nein." Ich erklärte, dass sich meine Russischkenntnisse im Prinzip auf das Alphabet beschränkten, aber ich hatte ohne Zweifel Punkte gewonnen.

Ich wurde gefragt, wie es mir denn in Moskau gefalle, und ich antwortete, dass ich ja außer Wachstuben noch nicht so viel gesehen hatte. Dabei hatte ich mich auf den Besuch so gefreut. Innerlich wiederholte ich für mich selbst: 'Das Beste aus der Situation machen ...'

Vermutlich war er ein ebenso guter Schauspieler wie ich, denn es sah aus, als ob es ihm fast leid täte, dass ich hier sitzen musste, statt eine Stadtbesichtigung zu machen. Der Rest des Verhörs ging wie geschmiert, hatte sogar noch eine besondere Pointe. Er fragte mich, wieviel ich gewechselt hatte.

"Zweihundert Kronen", antwortete ich wahrheitsgemäß.

"Nun, wir haben vierzehnhundert Kronen bei den beiden gefunden", erklärte der Verhörsleiter. "Würden Sie siebenhundert auf sich nehmen, damit wir nicht alle verhören brauchen?"

"Ja, natürlich", sagte ich großzügig, obwohl ich ziemlich erstaunt war, denn unsere Gruppe hatte nur achthundert Kronen umgetauscht.

Wir verabschiedeten uns mit einem freundlichen Handschlag. Das Geld durfte ich behalten. Ich kam wieder ins Vorzimmer hinaus, wo die anderen sechs noch immer auf ihren Stühlen saßen. Sie sahen es mir wohl an, dass ich erleichtert war, aber ich hatte keine Zeit zu langen Erklärungen, denn wir alle, außer meiner Jeanskollegin, wurden entlassen. Sie musste jedoch noch bleiben, denn sie war ja auf dem Foto zu sehen und muste auch verhört werden.

Natürlich war es jetzt, nach dem Erlebten, für mich viel leichter als für die anderen, als ich bat, bei ihr bleiben zu dürfen, um sie nicht allein zu lassen. Ich durfte. (Fünf Jahre später sagte sie falsch gegen mich aus, sodass ich entlassen wurde. Das kann ich mir nicht verkneifen, hier dazuzuschreiben.)

Meine Kollegin wurde gefragt, ob sie das Verhör auf Englisch oder auf Schwedisch machen wollte.

"Schwedisch", sagte sie, aber das sollte sich gleich als klarer Nachteil herausstellen. Denn dafür musste erst ein Dolmetscher herangeschafft werden. Dieser tauchte jedoch erst nach ein Uhr nachmittags auf und jetzt war es gerade halb zehn vorbei. Wir wurden jetzt in den Raum geführt, der hinter der zweiten Tür verborgen war. Dies war eine kleine Wachstube, ähnlich der, die wir gestern schon gesehen hatten. Durch ein kleines Fenster sah man den Himmel hinter einem Schreibtisch, hinter dem auch ein älterer Wachebeamter seinen Dienst versah. Seitlich davon standen Stühle, auf denen wir Platz nahmen. Über der Tür gab es eine große Wanduhr, deren Zeiger in den nächsten Stunden so grauenhaft langsam weiterrücken würden. Auf der Mauer uns gegenüber hing ein Bild von Gorbatschow und daneben eine auf Papier gedruckte russische Fahne. Das war schon alles, was man betrachten konnte, um die Zeit vergehen zu lassen.

Die erste halbe Stunde benutzte ich, um meine Kollegin zu beruhigen. Ich berichtete ihr von dem nahezu freundschaftlichen Ton, in dem das Verhör mit mir geführt worden war und versicherte ihr, dass uns wirklich nichts geschehen würde. Ich erzählte ihr auch davon, dass ich angegeben hatte, siebenhundert Kronen gewechselt zu haben, und dass man vermutlich damit rechnete, dass sie die anderen siebenhundert auf sich nähme.

"Ich habe aber nur zweihundert gewechselt", antwortete sie. "Die gebe ich zu, aber keinen Groschen mehr."

Ich ließ diese Sache auf sich beruhen und wir verbrachten vielleicht noch eine halbe Stunde mit belanglosen Gesprächen. Dann wurde es langweilig. Sehr langweilig. Ich fragte den Russen, ob er Englisch könne, aber sein Kopfschütteln und sein "njet" machten auch diese Hoffnung zunichte.

Als ich mir zum hundertsiebenundfünfzigsten Mal die russische Fahne angesehen hatte, fiel mir noch immer nicht ein, wie "blau" auf Russisch hieß, obwohl ich das einmal gelernt hatte. Aber ich hatte einen Einfall, der es mir - wenigstens im Nachhinein - fast wert erschienen ließ, diese ganze Geschichte durchgemacht zu haben. Ich bin heute noch stolz darauf. Ich stand auf, ging zur gegenüberliegenden Wand, zeigte auf den roten Streifen und sagte:

"Krasnuj."

Danach glitt mein Finger auf den weißen Streifen, gefolgt von "bjelui". Und dann zeigte ich auf blau und sah unseren Aufpasser fragend an.

"Sinnij", sagte er.

Danach begann unsere Unterhaltung. Ich kann wirklich kein Russisch. Aber ich war so verwundert, dass ich, als ich wieder zu Hause war, mich hinsetzte und alle russischen Wörter aufschrieb, an die ich mich erinnern konnte. Es waren nicht einmal hundert. Dennoch "sprachen" wir über eine ganze Menge Dinge - mit vielen Gesten natürlich. Es war auch keine fließende Unterhaltung. Es dauerte schon immer eine Weile, bevor ich ein oder zwei Wörter mit einer passenden Körpersprache verbinden konnte, aber wir verstanden einander. Wenigstens teilweise. Wir redeten über die kommende Eishockeyweltmeisterschaft, wobei ich den Russen Lob zollte und sagte, dass sie "igrajet charascho", also gut spielten. Er seinerseits machte uns freundlich grinsend klar, dass man uns den Hintern versohlen sollte, weil wir schwarz gewechselt hatten.

Endlich holte man uns zum Verhör. Das heißt, ich fragte, ob ich dabei sein dürfe und ich durfte auch das. Es ging, wie erwartet, fast ganz ohne Probleme. Die einzige Schwierigkeit war, dass meine Kollegin wirklich nicht zugeben wollte, dass sie mehr als zweihundert Kronen gewechselt hatte. Man redete ihr eine Weile gut zu, aber es half nichts. Da machte der Verhörsleiter eine wegwerfende Handbewegung und sagte zum Protokollführer:

"Schreib siebenhundert."

Das Wort "schreiben" konnte ich zum Glück auch, wie auch die Zahlen. Denn das bewies mir einmal mehr, dass auch die bei uns so gefürchteten Russen schließlich doch nur Menschen sind. Ich grinste in mich hinein, als meine Kollegin das Protokoll unterschrieb, bis heute unwissend, dass ihr Vergehen dreieinhalb Mal so groß war, wie sie selbst glaubte.

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås, 2007


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