DAS TAGEBUCH DES HERAKLES
Der Kampf der Giganten
Ich erwachte zu einem infernalischen Getöse. Ich hakte schnell meinen Lendenschutz fest und warf mein Löwenfell über die Schultern und lief zur Tür, um zu sehen, was los war. Gerade als ich öffnete, lief Hephaistos vorbei, in den Händen zwei riesige Kübel voller glühenden Kohlen tragend, und rief mir zu:
"Komm Junior, schnell, jetzt geht es los. Die Giganten greifen an!"
Mit einem einzigen Sprung war ich bei meinem Bogen, setzte ihn auf der Schulter fest, zurrte den Köcher mit den Pfeilen um die Mitte, nahm meine Keule und war schon wieder auf dem Weg zur Tür.
Diesmal bestand keine Gefahr, dass ich mich verirren könnte, weil alle in dieselbe Richtung eilten. Ich holte Pallas Athene ein - Gott, war sie heute schön! Ihre Rüstung leuchtete, wie auch ihr Antlitz voller Energie, sogar die Lanzenspitze schien zu glitzern!
Als wir ins Freie traten, erwartete uns ein schrecklicher Anblick. Ungeheuer, die in Wirklichkeit viel ärger aussahen, als die, die Zeus uns gezeigt hatte, stürmten uns entgegen. In ihren Händen hielten sie brennende Bäume als Fackeln, außerdem trugen sie alle erdenklichen Wurfgeschosse, darunter Felsblöcke, die groß wie Häuser waren. Dazu gröhlten sie so lautstark, dass der Lärm in der Luft zu vibrieren schien. Man behauptet sogar, dass die Sonne vor lauter Erschrecken auf ihrem Weg über den Himmel kehrtgemacht haben soll, aber das kann ich nicht bezeugen, denn ich war mit anderen Dingen beschäftigt.
Ich muss ehrlich sein und sagen, dass ich mich anfangs überhaupt nicht an so viele Dinge erinnere, es dauerte eine geraume Weile, sich an die abscheuliche Aussicht zu gewöhnen. Die ekligen Formen uns gegenüber schienen zu quellen und ineinander zu verfließen, sodass ich kaum den Blick von ihnen wenden konnte. Ein harter Schlag von Apollo ließ mich taumeln und auf die Knie fallen, aber er führte mich gleichzeitig von meinem weltfremden Einherstarren in die Wirklichkeit zurück, umsomehr als ich einen mächtigen Quaderstein knapp an mir vorbeifliegen sah, eben dort, wo ich gerade gestanden war.
"Reiß dich zusammen, Herakles", rief Apollo gleichzeitig. "Jetzt kannst du nicht dastehen und träumen, dazu haben wir keine Zeit! Siehst Du Ephialtes dort, den mit den großen Augen? Das sind doch ausgezeichnete Zielscheiben für uns. Ich nehme das linke!"
Den Bogen abzunemen, den Pfeil einzulegen, zu zielen und ihn auf das rechte Auge des Riesen loszulassen, war das Werk einer knappen Sekunde, gleich danach trafen die Pfeile - und die Augen des Ungeheuers schlossen sich für immer. Aus meinen eigenen Augenwinkeln sah ich, wie Hephaistos Mimas in Brand setzte, indem er ihm seine glühenden Kohlen in einem ungeheuren Tempo nachwarf, sodass Mimas keine Chance hatte, allen auszuweichen. Der Bart flammte plötzlich auf und ich meinte, dass ich sein Geheul noch über das fürchterliche Geschrei aller anderen hören konnte.
Ich sah, wie Dionysos Eurytos besiegte und sah den Kopf von Hippolytos sich ganz von selbst vom Rumpf zu trennen und auf die Erde zu fallen. Aber eben vorher hatte ich gesehen, wie Hermes seinen eigenen beflügelten Helm gegen den von Hades austauschte, der den Träger unsichtbar macht und den ja schon mein Stammvater verwendet hatte, um den Gorgonen zu entkommen. In den Reihen der Giganten fielen noch viele andere, aber ich kannte ja nicht einmal einen zehnten Teil von ihnen beim Namen. Doch obwohl wir uns recht tüchtig schlugen, kamen sie näher.
Peloros, der mit den Schlangenbeinen, hatte sich zu weit vorgewagt, als er durch die Hand des geschickten Ares fiel, der in seinem von Pferden gezogenen Streitwagen das Ungeheuer zuerst mit seiner Lanze zu Boden streckte und ihn dann überfuhr. Ein schleimiges Wesen kroch auf meiner Seite hervor und ich schickte ihm einen ganzen Hagel Pfeile entgegen. Schon nach dem dritten Treffer fiel er auf die Erde hinunter.
"Davon hast du nichts", rief mir Athene von rechts zu. "Das war Alcyoneus von Pallene, der bekommt all seine Kraft zurück, sobald er den Boden seines Heimatlandes berührt. Die einzige Möglichkeit ist, dass du ihm nachkommst und dazusiehst, dass er den Boden nicht berühren kann. Iris!" Sie winkte nach hinten und die junge Göttin war im Nu bei uns.
"Bring Herakles auf die Erde hinunter, du siehst selbst, wo Alcyoneus gelandet ist", sagte Athene zu ihr und wandte sich dann gleich gegen Pallas, der am ehesten an einen stacheligen Dinosaurier aus vergangenen Zeiten erinnerte.
Iris berührte mich kaum, nur ganz leicht am Ellenbogen, aber schon erhoben wir uns mit Windeseile und sanken dann der Erde entgegen, unterwegs nach Pallene. Und ganz richtig, dort sahen wir, wie der abstoßende Gigant sich schon auf die Knie erhob, als wir uns näherten. Sobald Iris mich zu Boden gelassen hatte, schickte ich einen neuen Pfeilregen gegen Alcyoneus, während ich näher lief. Es mag ja durchaus sein, dass er aus der Erde neue Kräfte schöpfte, aber es war auch offenbar, dass er von allen Treffern, die ich erzielt hatte, geschwächt war. Zu meinem Glück. Denn wie sehr es mich auch ekelte, den schleimigen Körper zu berühren, hob ich das Ungeheuer hoch und hielt es vom Boden weg, so gut ich es nun schaffte. Alcyoneus zappelte und drehte sich und versuchte mich mit seinen Armen zu erwürgen, sodass ich vollauf damit beschäftigt war, ihn mir vom Hals zu halten. Obwohl seine Bewegungen jetzt, da er keine dauernde Berührung mit dem Boden hatte, noch langsamer und schwächer waren, sah ich doch ein, dass ich Hilfe brauchte.
"Schnell, Iris", rief ich. "Komm und bring uns aus Pallene weg. Es spielt keine Rolle wohin, wenn wir nur außerhalb der Grenzen von Pallene landen."
Iris war schon bei mir und im Augenblick danach flogen wir auf, wurden aber gleich darauf wieder zu Boden gesetzt. Ich ließ Alcyoneus aus, aber das schleimige Ekel war jetzt nur mehr ein Schatten seiner selbst, was mir bezeugte, dass wir Pallene wirklich verlassen hatten. Er machte einen schwachen Versuch, sich in die Richtung, aus der wir gekommen waren, durchzuschlagen, aber zwei neue Pfeile setzten seinem Leben einen endgültigen Schlusspunkt.
* * * * * * * * *
Ich musste mich fünf Minuten lang erholen, aber dann bedeutete ich Iris, dass ich bereit war, zum Olymp zurückgetragen zu werden. Das war genauso einfach, wie die vorherigen Flüge, nur da oben war ein Szenenwechsel geschehen. Trotz der Warnungen von Zeus, die Giganten nicht zu nah an uns heranzulassen, war es ihnen gelungen, auf Zweikampfabstand zu kommen. Aber die Götter schlugen sich dennoch recht gut. Ich sah, wie Dionysos dem Alpus den Garaus machte, einer großen Bestie, mit wildem, rotem Haar auf dem ganzen Körper und mit spitzen Drachenzähnen im Maul. Thoas, eine der Moiren, erschlug gerade Agrius und Hekate kam von hinten und hielt Klytios ihre Fackel in die Haare, als dieser gerade Ares aus seinem Streitwagen zerren wollte.
Athene musste Pallas überwältigt haben und ihm nachher das dicke Fell abgezogen haben, weil sie es jetzt als Extraschutz am Rücken trug. Ich sah, dass sie damit beschäftigt war, sich des Enkelados zu erwehren und ich war gerade auf dem Weg zu ihr, um ihr zu helfen, als ich Hera schreien hörte.
Porphyrion, ein wahrlicher Riese, hatte ihre Tunika in den Griff bekommen und sie auseinandergerissen, sodass Hera jetzt in all ihrer Pracht dastand. Ich konnte es mir nicht verkneifen, zufrieden zu grinsen, als ich die Narbe auf ihrer Brust sah - man sagt ja, ich habe sie als Neugeborener dort gebissen.
"Ha, Götterweib", hörte man jetzt den Porphyrion brüllen. "So werden am Ende alle Rechnungen bezahlt. Du hast mir zwar Hebe versprochen, dein kleines Nesthäkchen, wenn ich nur den Bastarden deines Mannes, den Dionysos ums Leben brachte. Aber ich bin an euren göttlichen Intrigen überhaupt nicht interessiert und jetzt wirst du mir halt statt deiner Tochter zu Diensten stehen."
Ich hielt ein, wie erlahmt. Das konnte, durfte nicht wahr sein. War sie wirklich so tief gesunken, dass sie versucht hatte eine solche Bestie zu engagieren, um Dionysos zu ermorden, nur weil er ein uneheliches Kind des Zeus war? Aber andererseits wusste ich ja aus eigener Erfahrung, wie gemein und bösartig sie sein konnte. Aber dass sie ihm auch noch Hebe versprochen hatte!!! Ich sah wie Porphyrion ihren Körper nach hinten bog, obwohl sie allen Widerstand leistete, den sie aufbringen konnte.
"Hilfe", wimmerte sie und sah mich flehend an.
"Es geschieht dir ganz recht, du Trampel", schrie ich zurück und wollte gerade weggehen, als ich die Stimme meines Vaters donnern hörte:
"HERAKLES!!!!" Gleichzeitig warf er einen seiner Donnerkeile gegen Porphyrion, was dessen Vorhaben erheblicherweise behinderte.
"Ja, aber hast du denn nicht gehört, was sie getan hat?" Trotzig wie ein Dreijähriger strampfte ich mit dem Fuß auf, bevor ich mich meinem Vater zuwandte. Aber sowie mich sein Blick traf, verschwand mein ganzer Widerstand, er schmolz ganz einfach dahin, von einer Sekunde zur anderen. Ich holte einen Pfeil hervor und schoss ihn Porphyrion genau ins Herz. Er stolperte nach vorne und über Hera, die er im Fallen mit sich riss. Nackt und blutig befreite sie sich und verschwand dann ohne ein Wort und ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.
Auf dem Schlachtfeld war der Kampf jetzt entschieden. Enkelados hatte genug bekommen und versuchte vor Athene davonzurennen, aber sie spaltete einen der Berge, die die Giganten als Treppe zum Olymp aufeinandergestapelt hatten und warf die eine Hälfte dem Giganten nach. Sie traf ihn im Rücken und er wurde darunter im Meer begraben, an der Zehenspitze von Italien.
Polybotes ging einem ähnlichen Schicksal entgegen, als Poseidon eine Ecke der Insel Kos abriss und ihn darunter begrub. Ich drehte mich im Kreis, um einen Überblick zu bekommen, aber alle Feinde schienen geschlagen zu sein. Langsam ging ich dann zurück, zusammen mit all den anderen Göttern.
© Bernhard Kauntz, Västerås 1999
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