DAS TAGEBUCH DES HERAKLES
In Thespeia
Ich war also auf dem Weg nach Hause, nach Theben, als mir zwei Herolde entgegenkamen. Ich sah, wie sie miteinander tuschelten, dann kam der größere von ihnen auf mich zu und fragte, ob ich möglicherweise Herakles sei. Das konnte ich ja nicht verneinen und daraufhin erzählte er, dass sie eine Botschaft von König Thespeias für mich hätten. In Thespeia habe man davon gehört, wie ich den furchtbaren Löwen besiegt hatte, der auf dem Berg Kithairon alle in Schrecken versetzt hatte und der König wolle mich fragen, ob ich nicht auch ihm helfen könne und die Umgebung seiner Stadt ein wenig sicherer machen könne. Dort gab es zwar keine einzelne Bestie, die sich hervortat, aber es gab genug wilde Tiere in der Nähe, die die Bevölkerung und die Handelsreisenden manchmal überfielen. Ich würde reichlichen Lohn erhalten.
"Das werde ich wohl schaffen", sagte ich und ging mit ihnen.
König Thespeias war ein alter, weißhaariger Mann, der mich gleich empfing, als wir in die Stadt kamen. Er versprach mir drei Talente Silber, wenn ich sieben Wochen lang täglich auf die Jagd ginge und so viele wilde Tiere erlegte, wie nur möglich. Als besonderen Bonus würde er jeden Abend eine seiner Töchter zu mir schicken, damit sie mein Lager teilte.
Suchen Sie sich irgendeinen Jüngling in den oberen Teens aus und machen sie ihm diesen Vorschlag, dann brauchen Sie eine Weile lang keine künstliche Beleuchtung, denn der Junge strahlt heller als die Sonne. Auch ich zögerte nicht den Bruchteil einer Sekunde und fand, dass dies ein ganz ausgezeichnetes Angebot war.
Und ja, alles war ganz hervorragend. Es gab untertags genug wilde Tiere zu erlegen, sodass ich fand, dass ich meinen Lohn auch verdiente, und am Abend kam immer ein junges Mädchen in meine Kammer geschlichen. Sie waren alle zärtlich, schön und voller Zuneigung, sodass ich wirklich auf jede Weise auf meine Rechnung kam. Das Einzige, was mir in dieser Zeit abging, war eine ordentliche Portion Schlaf, aber diese Kleinigkeit konnte man doch wirklich opfern....
Ich konnte sie mir nicht alle merken, oder vielleicht hatte ich auch keinen Grund dazu, weil ich wie Meister Petz im Bienenkorb saß, obwohl es mich schon wunderte, dass es so viele Schönheiten waren. Aber ich nahm wohl an, dass sie sich abwechselten und nach ein paar Wochen wiederkamen, kurz, das alles stellte für mich kein Problem dar, deshalb kümmerte ich mich nicht darum. Ich fühlte mich wie ein Haremsbesitzer, ließ es mir gut und die Welt ihren Gang gehen.
Als die sieben Wochen um waren, tat es mir fast leid, aber andererseits würde es nett sein, wieder nach Theben zu kommen. Ich bekam von Thespeias mein Silber und er und Königin Megamede wünschten mir gute Reise. Erst auf der Landstraße, auf dem Weg nach Hause, holte mich die Wirklichkeit ein. Jetzt wurde nämlich ebensoviel über meine nächtlichen Abenteuer erzählt, wie über die Löwenjagd am Kithairon. Und schließlich kam es mir zu Ohren, dass Thespeias wirklich 50 Töchter hatte, von denen nur eine ihre Unschuld nicht verlieren wollte, die anderen jedoch zu mir gekommen waren, um geschwängert zu werden, weil sie einen Herakliden großziehen wollten. Jetzt fühlte ich mich wirklich recht billig und ausgenützt.
Aber die Gerüchte wurden immer schlimmer, je mehr Zeit verstrich. Erst hieß es, ich hätte mit allen 49 ein Kind gezeugt; das ist ja ganz unmöglich, das kann nie so sein. Wenn vier oder fünf schwanger werden, ist das vielleicht natürlich, aber doch niemals alle! Hier sieht man wieder, was die Leute für Unsinn reden. Aber es sollte noch ärger kommen. Kurz vor Theben hörte ich einige Leute behaupten, ich hätte mit allen in ein und derselben Nacht geschlafen! Du meine Güte! Das ist doch nicht nur eine physiche Unmöglichkeit, das ist auch praktisch nicht durchführbar und außerdem abstoßend. Ich bin doch keine Inseminationsmaschine! Aber das ist ja ein schönes Beispiel dafür, wie die Wirklichkeit verdreht wird.
Als ich nach Hause kam, hatte natürlich die gesamte Verwandtschaft auch von meinen Taten gehört. Aber nicht nur das, sondern ich wurde auch zum König gerufen, der von mir hören wollte, wie ich den Löwen bezwungen hatte. Kreon dankte mir für meinen Einsatz, er sagte, er wäre froh darüber, dass ich seine Untertanen von dieser Plage befreit hatte und er gab mir eine schöne Vase, auf der sein Hofmaler meinen Kampf mit dem Löwen aufgezeichnet hatte. Wirklich sehr ergreifend, das alles, aber das war gar nichts im Vergleich mit dem Anblick von Megara, seiner Tochter. Ich kann ja nicht einmal an sie denken, ohne dass mein ganzer Körper reagiert. Was für Unterschied das ist, dieses Gefühl, verglichen mit dem, was ich für alle Mädchen in Thespeia empfand. Wenn ich nur wüsste, wie ich sie wiedersehen könnte! Wenn sie nur nicht alle diese schrecklichen Gerüchte zu Ohren bekommt...
© Bernhard Kauntz, Västerås 1998
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