Wo man das Autofahren
 in der Reitschule lernt ...

Man muss gar kein Sprachwissenschafter sein, um festzustellen, dass der kulturelle Einfluss zwischen (benachbarten) Sprachen ziemlich groß ist. Wir alle wissen, dass im Englischen das Wort "ride" mit "fahren" übersetzt wird. Natürlich bedeutet es auch "reiten", aber daran denken wir wohl selten, weil man trotz allem öfter mit dem Auto fährt. Und "take a ride" ist wohl auch aus diversen Gangsterfilmen bekannt.
Nachdem die Fahrschule aber "driving school" und der Führerschein "driving license" heißt, gibt es auf Englisch eigentlich gar nichts zu lachen.
Anders wird es, wenn man in die Niederlande oder nach Flandern kommt, wo ja auch Niederländisch gesprochen wird. Hier wird der Einfluss von außen zum ersten Mal bemerkbar, wenn man feststellt, dass "rijden" auch hier für "fahren" verwendet wird. Ein niederländisches Wörterbuch erklärt das Wort auch mit "sich fortbewegen". Gut. Noch immer nichts Spaßiges. Lustig wird es dagegen, wenn man weiß, dass man das Autofahren in der "rijschool" lernt - also in der Reitschule.
Nun gibt es andere Beispiele, die einem Deutschsprachigen zur Belustigung dienen können. Wenn man vor dem Computer sitzt und etwas eintippt, dann tut man das auf Niederländisch auf dem "Klavier". Es ist eigentlich eine recht nette Vorstellung, dass man aus der Tastatur auch Musik hervorlocken könnte. So abwegig ist der Ausdruck aber nicht, denn er ist nahe mit unserer Klaviatur verwandt, auf der die Finger ja ungefähr dieselbe Arbeit verrichten.
Doch was am meisten in die Augen sticht sind die Maklerschilder, die vor Häusern stehen, die einen neuen Besitzer suchen. Und wenn man jemand gefunden hat, der das Haus übernehmen will, dann stellt der Makler ein Schild auf: "Verkocht". Es hat aber nichts mit einem riesigen Topf zu tun, in dem man das Haus gewaschen und sozusagen desinfiziert hat. Nein es heißt natürlich "verkauft". Aber wieso? Kaufen heißt ja "kopen", daher müsste ja "verkopt" heißen. Das tat es auch - bis zum Mittelalter. Aber nachdem die beiden Verschlusslaute P und T hintereinander stehen, wandelte sich das P zu einem Reibelaut CH, ganz einfach weil es leichter auszusprechen ist. Und da die Menschen auch im Mittelalter schon bequem waren, kam deshalb die Form "verkocht" zustande.
Aber jetzt noch ein paar Beispiele, wie Sprachen einander beeinflussen. Hier müssen wir aber ein wenig Geschichte einfügen: Die Niederlande und der nördliche Teil vom heutigen Belgien gehörten der spanischen Linie der Habsburger. Einer der wichtigsten Habsburger, Karl V, wurde sogar in Gent geboren.
Später wurde dieses Gebiet an die österreichische Linie übergeben (vielleicht nicht zuletzt aus sprachlichen Gründen, weil ja Niederländisch dem Deutschen viel ähnlicher ist als dem Spanischen). Am Hof in Österreich kamen dadurch viele Worte und Phrasen in Gebrauch, die dann auch in der Bevölkerung ihren Niederschlag fanden. Der gemeine Mann wollte doch sicher auch so sprechen wie die hohen Herren. Ein Teil dieser Ausdrücke hat sich bis heute im Sprachgebrauch gehalten.
Eines dieser Worte ist "terwijl", was vielleicht am besten mit "in dieser Zeit (Weile)" übersetzt werden kann. Nun steht das entsprechende deutsche Wort "derweil" noch immer im Duden, wird heute aber wohl kaum mehr verwendet. Im Wiener Dialekt dagegen füllt es noch immer seine Funktion. Wohl mit der mundfaulen Dialektisierung des Wienerischen, wo es zu "dawäu" wird. Aber es ist völlig normal, wie in diesem Beispiel: "Ich warte auf den Briefträger. Derweil lese ich ein Buch." Oder - wenn Sie es wirklich im Original haben wollen: "I woat aufm Briaftroga. Dawäu les i a Biachl."
Aber nicht nur Wörter haben Sprachen untereinander beeinflusst, auch grammatisch gibt es Beispiele dafür. Wir wissen heute, dass der Genitiv vielleicht nicht mehr lange überleben wird. Anfänge davon finden wir schon vor langer Zeit. "Meines Vaters Auto" umschreiben wir heute oft mit "Das Auto von meinem Vater". Aber es gibt noch eine Möglichkeit, den Genitiv zu vermeiden, nämlich "Meinem Vater sein Auto". Auch dieser Ausdruck ist im Dialekt durchaus gängig. Und zwar sowohl als Subjekt (Meinem Vater sein Haus ist blau), als auch als Objekt (Ich habe meinem Vater sein Haus gebaut). Letzteres könnte sogar noch als Hochsprache durchgehen. Und ebenso wird es auch im Niederländischen noch verwendet, dort auch durchaus noch als Hochsprache: "Mijn vader zijn huis".
Der letzte Einfluss, den ich zeigen möchte, betrifft das Verb "tun". Ich weiß nicht, inwiefern das Englische auf das Niederländische abgefärbt hat, aber dort ist das "tun" völlig normal. "Ik doe eten". also "Ich tu(e) essen", oder "Doe je jouw huiswerk", also "Tust du deine Hausaufgaben (machen)" ...
Die deutsche Version war noch in meiner Kindheit gebräuchlich, auch wenn wir in der Schule hörten, dass wir die drei obigen Beispiele nicht verwenden sollten. Aber "Tu einkaufen gehen" habe ich in meiner Kindheit oft genug gehört. Möglicherweise enthielt das "tun" eine Gleichzeitigkeit, die man heute mit "jetzt" umschreibt. "Ich tu essen" bedeutete, dass ich gerade im Begriff war, es zu "tun". Heute würde man es mit "jetzt", oder "gerade" verstärken. "Ich esse jetzt" oder "Ich bin gerade am Essen".

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2021

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18.01.2021 by webmaster@werbeka.com