Birka - Die erste Stadt Schwedens


Das Schiff M/S Eskil holt fünfmal wöchentlich Besucher in Västerås ab, um sie nach Birka zu führen. Die Fahrt kostet ungefähr ebenso viel wie mit dem Zug nach Stockholm - aber die positive Überraschung kommt später. Im Preis ist nämlich der Eintritt ins Museum auf Birka enthalten, wie auch zu sämtlichen Führungen auf der Insel.

Es dauert knappe zweieinhalb Stunden um hinzukommen, aber die Zeit vergeht rasch. Ein erstes Erlebnis ist es, als die M/S Eskil Gas gibt, sobald wir den Hafen hinter uns haben. Die hat ja Tempo drauf! Es ist herrlich, in dem warmen Wetter am Sonnendeck zu sitzen und vom Fahrtwind gefächelt zu werden. Dass man außerdem an all den kleinen Inseln vobeifährt, die in Schwedens drittgrößtem See, dem Mälarsee liegen, macht die Reise noch abwechslungsreicher.

Ich denke an die Landerhebung, die seit der letzten Eiszeit besteht und heute in geringem Ausmaß noch immer fortschreitet. Sie kommt daher, dass die Eismassen kilometerdick über Schweden gelegen sind, sodass das Land in den Erdmantel hineingepresst worden ist, jetzt aber langsam wieder hochsteigt. Ganze fünf Meter Unterschied sollen es sein, seit Birka vor gut tausend Jahren die Blütezeit erlebte. Damals war der Mälarsee noch eine Meeresbucht, die von der Ostsee ins Land hinein führte - und Birka lag strategisch an der Einfahrt dieser Bucht. Auf diese Art hatte man Kontrolle darüber, wer dort passieren wollte. Man konnte die Frachtgüter mit Zoll belegen oder die Waren umladen, um sie später mit Profit im Landesinneren zu verkaufen. Auch das Eisen aus "Bergslagen", einem Gebiet nordwestlich vom Mälarsee, war ein wichtiges Handelsgut, aber natürlich in die andere Richtung.
Man weiß bis heute noch nicht, warum Birka mit der Zeit aufgegeben wurde, aber eine der Theorien ist eben diese Hebung des Landes, die mit sich führte, dass die Einfahrt zu flach und zu schmal wurde.

Gegen ein Uhr gehen wir bei Björkön vor Anker. Jetzt haben wir drei Stunden Zeit, bevor das Schiff die Rückfahrt antritt. Mir kommt es zuerst lange vor, aber ich merke bald, dass die Zeit kaum ausreicht.

Während ich am Restaurant vorbeigehe, dem Museum zu, fällt mir die sprachliche Verbindung zwischen Björkön und Birka auf. Das schwedische Björkön heißt nämlich Birkeninsel auf Deutsch. Gibt es hier einen Zusammenhang?

Das Museum ist nett aufgebaut und mit Hilfe von Tafeln auf Schwedisch und Englisch auch selbsterklärend. Es gibt relativ wenige Gegenstände zu sehen, die man hier auf Björkön gefunden hat. Sicher, hier ein paar Kämme und dort ein Schmuckstück sind ausgestellt, aber der Schwerpunkt liegt auf Modellen. Da steht eines der Langhäuser der Wikinger und da drüben sogar ein ganzes Dorf, zusammen mit Erklärungen über die Raubzüge in Europa und über ihr tägliches Leben im Norden.

Gerade als ich mich im Museum sattgesehen habe, beginnt eine Führung über die Insel. Weil in der englischen Gruppe viel weniger Leute sind, gehe ich da mit - und die Führung ist wirklich hervorragend. Zuerst wird uns der Irrglaube an einige Dinge genommen. Es ist keineswegs so, dass die ganze Gesellschaft aus kämpfenden, fluchenden und raubenden Wikingern bestand. Auch zu jener Zeit war es so, dass der König, der übrigens auf einer Nachbarinsel, der Adelsö, wohnte, Menschen brauchte, die ihn mit Lebensmitteln versorgen konnten, Bauern also. Außerdem brauchte man Handwerker, Kaufleute, etcetera, die die Gesellschaft mit anderen Gebrauchswaren versehen konnten. Die Anzahl der "Wikinger", die hinausfuhr und "Schrecken verbreitete", war vermutlich nicht größer als zwei Prozent der Bevölkerung. Außerdem hatten die Wikinger ganz bestimmt keine Hörner auf ihren Helmen.

Das wirft auch ein neues Licht auf die Inschriften in den vielen Runensteinen, wie z.B. die bei Anundshög, die oft einem Bruder gewidmet sind. Vermutlich übernahm der Erstgeborene den Hof oder die Macht im Dorf, während die jüngeren Brüder auf Entdeckungsreisen gingen, um sich auf dem Schlachtfeld Ehre zu verdienen.

Unsere Führerin, die in der Tracht der damaligen Zeit gekleidet ist, hat noch eine Perspektive, an die ich bisher nicht gedacht hatte:

"Was wir heute über die Wikinger lesen können", sagt sie, "das ist ausschließlich von ihren Feinden geschrieben worden, in erster Linie Christen, aber wir kennen auch arabische Quellen. Die hatten natürlich keinen Grund, die Gegner zu verherrlichen, sondern sie überlieferten logischerweise eine ziemlich wilde und grausame Beschreibung."

Das sind interessante Gedanken in einer Welt, in der wir von den Amerikanern die wildesten Beschimpfungen desjenigen Feindelands hören, das sie demächst "befreien" wollen.

Als Ansgar, der erste christliche Missionar in Schweden, um 830 auf Björkön auftauchte, hatte er mit seiner Missionstätigkeit keine größeren Erfolge. Man kann sich ja denken, welche Ansichten er über diese Wilden vermittelte, die glaubten, direkt nach Walhall zu kommen, wenn sie im Kampf fielen. Der Vergleich mit islamischen Selbstmörderbombern unserer Zeit, die auch glauben, direkt ins Paradies zu kommen, drängt sich sofort auf...

Aber zurück nach Birka: Wir gehen bergauf zum Inneren der Insel und bleiben in einer ziemlich hügeligen Umgebung stehen. Wir befinden uns jetzt mitten am Friedhof, weil jeder Hügel ein Grab ist. Es gibt viele davon. Die Führerin erzählt, dass man heute etwa 3000 Gräber sehen kann, was viel zu viele sind, wenn man an die Bevölkerungszahl der Wikingerzeit denkt. Deshalb glaubt man, dass es mit einem gewissen Status verbunden war, auf Björkön begraben zu werden. Vermutlich versuchten auch die Bewohner umliegender Inseln, hier ihre letzte Ruhestätte zu bekommen. Es gibt außerdem sicherlich noch viele Gräber, die man noch nicht gefunden hat. Man schätzt, dass man bisher nur etwa drei Prozent der möglichen Funde ausgegraben hat.

Dann erfahren wir noch etwas Interessantes: Alles "Neue", wie das Museum oder das Restaurant, steht nahe beim Wasser. Es ist absichtlich dort gebaut worden, weil dort alles höchstens fünf Meter über dem Wasserspiegel liegt, das heißt, bis zu der Höhe, zu der das Wasser vor tausend Jahren gestanden ist. So riskierte man nicht, dass man irgendwelche Funde überbaute oder beim Bau zerstörte.

Als wir weitergehen, denke ich daran, dass die erste Stadt Schwedens eine relativ kurze Blütezeit erleben durfte. Knapp 200 Jahre lang gab es Birka, nachdem die Stadt 790 gegründet worden war. Sigtuna, ein Stück weiter nördlich, wurde 970 von Erik Segersäll gegründet und wurde das erste christliche Zentrum im Land. Unsere Führerin erzählt, dass es erwiesen ist, dass Handwerker direkt von Birka nach Sigtuna gezogen sind. Vielleicht war es so, dass die christliche Religion letztlich, 150 Jahre nach Ansgar, dennoch die entscheidende Kraft war, die Birkas Untergang verursachte? Schon 1060 sagt nämlich ein Geschichtsschreiber: "Von Birka kann ich keine Spur mehr sehen."

Bei unserem nächsten Halt sehen wir ein paar Schafe auf der Weide. Die Führerin macht eine ausschweifende Bewegung und erklärt, dass Birka dort lag, am Abhang vor uns, wie ein Fächer geformt. Man hat das Gras abgemäht, als Markierung für den Platz, den die Stadtmauer eingenommen hatte, aber sonst ist man auf seine Fantasie angewiesen, wenn man sich dort eine Stadt vorstellen will. Ich bin ein wenig enttäuscht darüber, dass man nicht die geringste Spur einer Ausgrabung entdecken kann, wie zum Beispiel in Eriksborg in Västerås. Aber hier gibt es kein einziges Loch nach einem Eckpfeiler eines Hauses, das man betrachten kann, um ehrfürchtig dem Zahn der Zeit zu gedenken. Gleichzeitig verstehe ich aber, dass es nicht gut wäre, wenn mehrere tausend Touristen auf einem heiklen Ausgrabungsort herumtrampelten. Die Grabungen geschehen heute auf einem anderen Teil der Insel, wo man uns wohlweislich nicht hinführt.


Die letzte Station des Rundgangs ist oben bei der Burg, wo die Königspforte hinüber zur Adelsö zeigt, wo ja der König seinen Sitz hatte. Ganz oben gibt es das Ansgarskreuz,

das aber eine moderne Schöpfung aus dem vorigen Jahrhundert und daher recht uninteressant ist. Wichtiger erscheint es mir zu hören, dass das Haus der Garnison dort stand, und damit einen Teil der Anlage zur Verteidigung der Stadt bildete, wo sie am leichtesten anzugreifen war.
Denn auch vom Meer her war die Stadt vor Angriffen geschützt. Dort gab es nämlich eine Reihe von Pfählen im Wasser, die es nicht zuließen, dass eventuelle feindliche Schiffe direkt beim Stadtgebiet landeten.

Ich gehe den Berg wieder hinunter, in Richtung des "Dorfes". Hier gibt es auch dramatisierte Vorstellungen über die Geschichte Birkas, sowohl auf Schwedisch, als auch auf Englisch. Das ist für Kinder sicher viel interessanter als bei einer faktengespickte Führung mitzumachen. Aber die Zeit lässt es nicht zu, dass ich mir eine ansehe.

Im Dorf gibt es alle möglichen Handwerker, die Zelttücher zusammennähen, Boote bauen oder Keramik herstellen. Auch die Touristen dürfen an einigen Aktivitäten teilnehmen. So darf man zum Beispiel mit Pfeil und Bogen schießen, ein Kanu rudern oder ein eigenes Schmuckstück aus Zinn herstellen. Ich schaue eine Weile bei der Zinngießerei zu und lerne wieder etwas Neues. Man findet keine Zinngegenstände auf Birka, obwohl die Bevölkerung die Technik ohne Zweifel beherrschte. Das kommt daher, dass Zinn sich in der Erde auflöst. Nach etwa 300 Jahren ist nichts mehr da.

Ich komme nicht dazu, mir alles so eingehend anzusehen, wie ich gern möchte, weil ich mir auch noch den Film über Birka ansehen will, den man jede halbe Stunde im Museum zeigt. Er ist auf Schwedisch, aber mit englischen Untertiteln, und handelt über Birkas Glanzzeit, aber auch über die Ausgrabungen, die man hier unternimmt.
Also bekomme ich schließlich dennoch ein paar alte Scherben zu sehen, wenngleich auch nur in Bildform.

Gleich nach dem Film ist es Zeit, zurück zum Schiff zu gehen, um die Heimreise nach Västerås anzutreten. Ich bin vollauf zufrieden. Es war nicht nur ein wunderbarer Sommertag, sondern ich habe vor allem neue Kenntnisse erworben und neue Gedanken gedacht. Was kann man mehr verlangen?


© Bernhard Kauntz, Västerås 2006




Zur offiziellen Seite des Reichsantikvarienamtes über Birka (Englisch)


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last update: 7.9.2006 by webmaster@werbeka.com